4-Tage-Woche und bedingungsloses Grundeinkommen sind keine Luftschlösser

Alle arbeiten weniger oder am besten gar nicht und bekommen dafür auch noch mehr Geld? So ist es nicht. Der Wert von Arbeit, Freizeit und Gemeinwohl muss neu verhandelt werden. Am 1. Mai erinnern wir uns an die hunderttausenden von Fabrikarbeiter:innen, die vor nunmehr fast 140 Jahren (ausgerechnet!) in den USA für einen 8-Stunden-Tag auf die Straße gingen. Zu der Zeit – und in einigen Bereichen bis heute – eine utopisch anmutende Forderung…

Fachkräftemangel, alternde Gesellschaft, Wettbewerbsnachteil inmitten globaler Krisen, Belohnung für die Faulen, noch mehr Migrationsdruck auf ein überlastetes Sozialsystem, weltfremde Theorien einer verwöhnten Bildungselite, wer soll das bezahlen? Die Liste der Gegenargumente ist lang. Allerdings ist sie Ausdruck eines neoliberalen Weltbilds, das sich zwar als wissenschaftlich fundiert und vernunftgeleitet geriert, aber letztendlich auf unbewiesenen Annahmen und Dogmen beruht. Das ändert nichts daran, dass zumindest einige der genannten Aspekte große Herausforderungen darstellen. Eine alternative Sichtweise eröffnet dabei Möglichkeiten, unsere Zukunft besser zu gestalten. Die 4-Tage-Woche und ein universelles Lebenseinkommen sind keine wirklichkeitsfernen Forderungen. Die Vorstellung, so weiterzumachen wie bisher, ist hingegen irrational.

Die Lokführer:innengewerkschaft GDL hat für ihre Schichtarbeiter:innen kürzlich eine schrittweise Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden erwirkt, bei vollem Lohnausgleich. Während des Tarifstreits und der Diffamierung der Bahnstreiks wurde das in der medialen Öffentlichkeit noch als unmöglich abgetan.

4-Tage-Woche: Arbeiten dann wirklich alle weniger?

Das kommt einerseits darauf an, was wir als Arbeit verstehen, und andererseits auf die möglichen Auswirkungen auf Motivation und Leistungsfähigkeit, wenn mehr Zeit zur eigenen Verfügung steht. Studien können nicht wirklich Aufschluss darüber geben, aber es deutet einiges darauf hin, dass in einer 4-Tage-Woche die Effizienz steigen und Krankheitstage abnehmen könnten. Außerdem ist es nicht so, dass alle Angestellten Vollzeit arbeiten. Viele von ihnen, insbesondere Frauen, sind in Teilzeitjobs und dabei oft aufgrund ihres niedrigen Einkommens auf ein Aufstocken im Jobcenter angewiesen. Die Unterbeschäftigung ist in vielen Fällen unfreiwillig.

Ein potenzieller gesamtgesellschaftlicher Nutzen der 4-Tage-Woche liegt darin, dass sie langfristig zur Aufwertung von unbezahlter Arbeit beitragen kann und in der Konsequenz auf dem Arbeitsmarkt auch einen positiven Einfluss auf den Gender Pay Gap (Verdienstabstand zwischen Männern und Frauen) hätte. Aus dieser Perspektive ist nicht anzunehmen, dass Menschen in einer 4-Tage-Woche wirklich weniger tun würden. Unbezahlte Tätigkeiten im häuslichen bzw. privaten Bereich oder auch ehrenamtliches Engagement, ohne die eine Gesellschaft nachweislich nicht funktioniert, können anders aufgeteilt und gewürdigt werden.

Fachkräftemangel und alternde Gesellschaft

Trotz allem bleibt es dabei, dass in den nächsten Jahren die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand gehen und dass tatsächlich ein Fachkräftemangel besteht. Diese strukturellen Tatsachen können so oder so – egal ob bei 4- oder 5-Tage-Woche – nur durch ein radikales Umdenken in Debatte und politischem Handeln konfrontiert werden.

Ein zentrales Werkzeug dabei ist die Aufwertung von Arbeit in der kritischen Infrastruktur, wie Pflege, Handwerk oder Transport. In Bezug auf Pflegekräfte hat die Politik nichts aus der Pandemie gelernt. Es gibt weder nennenswerte neue soziale noch finanzielle Anreize für Menschen, in diesem Job zu bleiben oder ihn in Zukunft anzustreben. Der kürzliche Tarifabschluss zwischen GDL und Bahn ist wiederum ein Hoffnungsschimmer, dass es vielleicht anders gehen könnte, mit besseren Arbeitsbedingungen auf der einen Seite und Investitionen in den Nachwuchs auf der anderen. Ohne einen konsequenten Arbeitskampf und eine starke Gewerkschaft wäre das nicht möglich gewesen.

Schließlich wird es sicherlich nicht ohne Fachkräfte aus dem Ausland gehen, und auch hier braucht es einen verantwortungsvollen Diskurs, der Migration nicht nach ihrem wirtschaftlichen Nutzen definiert, Gruppen nicht gegeneinander ausspielt und konstruierte Hierarchien und Verteilungskämpfe nicht weiter befeuert. Das gehört nicht nur zur Lösung des Arbeitsmarktproblems, sondern unabdingbar zur Brandmauer gegen rechts.

Universelles Lebenseinkommen: Belohnung für die Faulen?

Der öffentliche Diskurs suggeriert uns immer wieder, dass Menschen nicht arbeiten wollen, wenn sie nicht müssen. Diese Behauptung sollte sich allerdings darauf beschränken, dass wir nicht in ausbeuterischen und wenig wertgeschätzten Verhältnissen arbeiten möchten. Natürlich ist es absurd anzunehmen, dass es die Leute nicht gibt, die auf Kosten anderer durchs Leben kommen. Das Augenmerk auf Sozialbetrug und Arbeitsscheu sowie ihre Bestrafung hat allerdings einen fast fetischhaften Charakter, der sich aus der kapitalistischen Logik ergibt.

Warum sollte ein existenzsichernder Grad an finanziellem Rückhalt Menschen davon abhalten, sich handwerklich, unternehmerisch, wissenschaftlich oder kulturell zu betätigen? Es ist naheliegender anzunehmen, das Gegenteil ist der Fall. Sicherlich wird es schwieriger, Arbeitskräfte für sogenannte „Shit-Jobs“ zu gewinnen. Damit wäre dann ein Anreiz geschaffen, diese Art von notwendiger Arbeit innovativ zu automatisieren, oder angemessen zu entlohnen. Darüber hinaus bietet das bedingungslose Grundeinkommen viele weitere Chancen zum Bürokratieabbau, gerade im Bereich prüfungslastiger Sozialleistungen wie dem Bürgergeld.

Wer soll das bezahlen?

Die Antwort ist prinzipiell: diejenigen, die sich seit Jahrhunderten an anderen bereichern.

Das zielt auf eine grundlegende Umverteilung der zur Verfügung stehenden Ressourcen, einschließlich einer Neuregelung der Eigentumsverhältnisse, ab. Damit ist nicht gemeint, dass alle Wirtschaftsakteur:innen, vor allem nicht mittelständische Unternehmen und Kleinbetriebe, in Handlungsunfähigkeit und Insolvenz gezwungen werden sollen. Im Gegenteil, auch sie würden durch eine gerechtere Besteuerung sowie neue Investitions- und Subventionsschwerpunkte gestärkt. Und nicht nur Eigentumsverhältnisse sondern auch Haftungsverantwortung kann zum Beispiel durch Vergesellschaftung geteilt werden.

Abgesehen von der konsequenten Ahndung von Steuerhinterziehung und gesetzlichen Maßnahmen gegen Steuervermeidung würde eine Besteuerung von großen Vermögen und Transaktionen, die nicht zur gesellschaftlichen oder anderweitig greifbaren Wertschöpfung beitragen, unermessliche Summen bereitstellen. Dasselbe gilt für eine Deckelung von immensen Privatvermögen und Erbschaften. Das alles bewegt sich außerhalb der tatsächlichen wirtschaftlichen Aktivitäten, an denen Arbeitsplätze, Dienstleistungen und Produktion hängen.

Eine Neuausrichtung der Investitions- und Subventionspolitik zum Vorteil kleinerer und mittlerer Betriebe, die zur grünen Transformation beitragen, und die Bildung und Infrastruktur in den Vordergrund stellt, kann nachhaltiges und sozial verträgliches Wirtschaften ermöglichen.

Das alles geht nicht in einem Klima von staatlicher Austerität, Investitionsverweigerung und Militarismus, sowie in politischer Abhängigkeit von Großkonzernen und Superreichen.

Wie kann das im bestehenden System gehen?

Auch von linker Seite gibt es Vorbehalte. Nicht nur, weil es reformistische Ansätze sind, sondern auch als spezifisch inhaltliche Kritik. Besonders überzeugend ist der Einwand, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen im herrschenden System nicht den Vielen zu Gute kommt. Sobald mehr Vermögen da ist, werden die Kapitalist:innen sich das aus der Staatskasse verteilte Geld durch Mieterhöhungen und Preiswucher wieder aneignen und durch Lohndumping eigene Ressourcen schonen. So wäre ein universelles Lebenseinkommen eine indirekte Subvention für die Reichen.

Deshalb gehören die Kämpfe zusammen, auch europaweit und global. Ohne Mietendeckel und andere Preisbremsen, Lieferkettengesetz, starke Gewerkschaften, adäquaten Mindestlohn und die Zerschlagung von wirtschaftlicher Monopolmacht wird ein Grundeinkommen prekär bleiben. Greifen diese Mechanismen allerdings ineinander, dann ist die einzig mögliche Konsequenz eine Neuordnung des Wirtschaftssystems.

MERA25 hat in ihrem Programm für die Europawahl 2024 die 4-Tage-Woche und ein universelles Lebenseinkommen als Schwerpunkte für soziale Gerechtigkeit gesetzt. Gleichzeitig unterstützen wir komplementäre Kämpfe für faire Löhne, bezahlbare Mieten, bessere Ausbildung und die Vergesellschaftung von Großkonzernen und Gemeingütern.

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