Apocalypse Now – eine Stadt im Ausnahmezustand

Kommentar des deutschen Bundeskomitees
Der vergangene G20-Gipfel in Hamburg taugt nicht nur zur Empörung über die dort ausgeübte Gewalt, vielmehr ist er zu einem Symbol für die gegenwärtigen politischen Verhältnisse geworden.
Wenngleich Gewalt in jeglicher Form aufs schärfste zu verurteilen ist und die Gewalt-Exzesse im Schanzenviertel für deutsche Verhältnisse einmalig sind, reicht es nicht, den Fokus nur auf die Gewalttäter zu richten, sondern diese als Teil eines großen Ganzen zu sehen.
Denn der G20-Gipfel in Hamburg zeigt die Brüche und Widersprüche in unserer Gesellschaft und das wahre Dilemma unserer europäischen Demokratie.
 
Ob Tag oder Nacht, es war nicht länger wichtig – der Lärm hatte die Wahrnehmung aller Menschen in dieser Stadt vereinnahmt.
Die Geräusche kreisender Rotorenblätter zahlreicher Helikopter, die Dauerbeschallung durch polizeiliche und notärztliche Sirenen, das Klirren von Glas und die demonstrativen Rufe tausender Aktivisten erzeugten  eine kriegerisch aufgeladene Kakophonie.
Die Nerven lagen blank – bei allen – und nur die hohe Politik allein schwebte im abgeschotteten Elfenbeinturm der Elbphilharmonie über der Realität und lauschte berauscht Beethovens Neunter Sinfonie, ohne wahrhaben zu wollen, dass die „Götterfunken“ nicht nur mit mindestens 130 Millionen Steuergeldern, sondern auch mit brennenden Straßen erkauft wurden.
Und am Boden?
Dort versuchten Gipfelgegner verzweifelt ihre Forderungen unter die Menschen und in die Medien zu bringen. Vergebens. Zu heftig waren die Ausschreitungen; zu eskalierend das vorgehen der Polizei,welches sich auch gegen ausdrücklich friedlichen Demonstranten richtete.
Wenn man mit Anwohnern der Reeperbahn redet, begreift man, warum allein die Gewalt noch immer die Agenda setzt. Entweder wird das Vorgehen der Polizei oder die Randale durch einen Teil der Demonstranten kritisiert.
Dabei wird meist einer Seite pauschal die Schuld gegeben, ohne alle zur Verfügung stehenden Quellen zu prüfen und diese gegeneinander abzuwägen.
Denn während der Auseinandersetzungen war nicht nur die Presse vor Ort, tausende Handys waren jederzeit gezückt, als Pfefferspray, Panzerwagen und Pflastersteine das Straßenbild Hamburgs bestimmten.
Die passive Mehrheit wurde ebenfalls Opfer des Exzesses und die konstruktiven Aktivisten bemühten sich beinahe chancenlos darum, ihre Ideen und Ansätze zu transportieren. Und auch wenn die Kritik von der Ablehnung der G20 bis hin zu spezifischen Forderungen zum Klimaschutz reichten.
War am Ende das zentrale Thema die  undemokratischen Entscheidungen einer verantwortungslosen Stadtpolitik , welche keine alternativen Meinungen zulassen wollte und welche einen perfekten Nährboden für die Saat der Eskalation darstellte.
So fanden sich die angereisten Gewälttäter in einer Stimmung wieder, bei denen der Grundtenor war, dass die eigenen Straßen von Fremden besetzt wurden. Um einen Gipfel zu Veranstalten und nötigenfalls mit Gewalt durchzusetzen.
Und so fand man sich auch als Unbeteiligter in einer aufgeladenen Stimmung wieder, bei der die Rufe „ganz Hamburg hasst die Polizei“ letztendlich in die fanatische Gewalt eskalierte, die uns alle entsetzt hat.
G20 beschließt mehr Wachstum
Aber wozu das ganze? Am Ende sind die Ergebnisse ernüchternd, auch wenn 9.000 der 10.000 offiziellen und angereisten Teilnehmer des G20-Treffens Journalisten aus aller Welt waren.
Fanden nicht nur der eigentliche Gipfel wenig beachtung. Auch der im Vorfeld tagende Alternativgipfel und die Vielfältigen Protestaktionen wurden von Bildern der Gefechte zwischen Polizei und Gipfelgegnern überlagert.
Die rein destruktiven Strategien beider Parteien  katapultierten Hamburg kurzerhand in eine Kriegskulisse, worin sich Exzess und Voyeurismus entluden.
Damit  lieferte G20 in Hamburg die Bilder, wohin die Welt im Großen derzeit steuert.
Die Beschlüsse des G20-Gipfels zeigen auch einer Woche nach dem Gipfel, dassGewalt in Kauf genommen wird, dass die Pressefreiheit weiter eingeschränkt wird und das Rüstungsgeschäfte auch in Zukunft durchgewunken werden.
Alle Bemühungen der vergangenen Jahrzehnte, wonach internationale Institutionen zwischenstaatliche Konflikte lösen sollen, sind rückläufig.
Allein Wettbewerbsfähigkeit und Verdrängungskonkurrenz sollen das Wachstum einzelner Staaten befördern.
Internationale Institutionen wie die EU verkommen zum reinen Vehikel zwecks Umsetzung nationalstaatlicher Wachstumsdogmas.
Im Wirtschaftskrieg
Trotz einer Konjunkturphase in der Weltwirtschaft.
Steht bereits fest das die nächste Rezessionenphase bald kommen wird.
Aber anstatt dem entgegenzuwirken wurden stattdessen die Allianzen des gegenwärtigen Wirtschaftskrieges deutlich.
China und Deutschland zeigten sich darin als Verfechter des Status Quo; durch ihre Exportstärke können sie den von Überakkumulation und Überproduktion verursachten ökonomischen Nachfragemangel kaschieren.
Darunter leiden beispielsweise die USA.
Die protektionistischen Töne eines Donald Trump kritisieren genau diese Verhältnisse, wonach amerikanische Unternehmen weniger Absatz finden.
Die angemahnten Strafzölle der USA für ausländische Unternehmen konterkariert Deutschland mithilfe der EU durch etliche Freihandelsabkommen: Ceta mit Kanada, Abkommen mit Japan und dem südamerikanischen Mercosur, aber auch Gespräche mit den Philippinen, Myanmar und Indonesien.
Frankreich bringt sich derzeit mit dem neuen Präsidenten Macron in Stellung.
Flexibilisierung der Arbeit, Senkung der Mindestlöhne, Aufweichung des Kündigungsschutzes werden diskutiert.
Hinzu kommt in allen Ländern, dass das billige Geld die Märkte überschwemmt und private Unternehmen künstlich am Leben gehalten werden.
So wuchs in China das private Kreditvolumen seit 2005 von 5 auf 35 Billionen US-Dollar.
Staaten ersparen ihren Firmen dadurch Kosten und verhindern so die Pleiten ihrer Unternehmen.
Für diesen internationalen Krieg nehmen die Staaten ihre Bewohner in die Pflicht, denn niemand möchte die Wirtschaft entwerten.
Leiden der Gesellschaft 
Das macht den G20-Gipfel so perfide.
Die Gespräche sind notwendig, um über politische und ökonomische Macht direkten Druck auf die Konkurrenten ausüben zu können, denn wirtschaftliches Wachstum gibt es nur  auf Kosten der anderen.
Das im Nachklang dieses auch politischen Gewaltkonzerts unorthodoxe Kooperationen auftreten, könnte man als Aufweichung der bestehenden politischen Verhältnisse durchaus willkommen heißen, würden sich dadurch die Staaten nicht wieder in Anarchie zueinander positionieren.
Zudem ist eindeutig, wer auf lange Sicht unter der ökonomischen Verdrängungskonkurrenz zwischen den Staaten leiden wird: alle die sich innerhalb dieses staatlich-institutionellen Sektors bewegen, kurz, die Weltgesellschaft.
Und kein Sektor wird von diesen Prekarisierungsmaßnahmen verschont bleiben, beziehungsweise kann sich voll und ganz davor schützen.
Einzig die global Agierenden, also eine Minderheit, haben die wirtschaftliche Kraft, sich immer in die Gewinnerzonen zu bewegen.
In ihrem Kielwasser entstehen dann die traumatisierenden Zustände für leidendende, lokale Massen; wie nun in Hamburg geschehen.
Der schleichende Zerfall
Der Schutz der Einzelnen wird aufgeweicht, um die makroökonomischen Gebilde herrschender Staaten zu sichern.
Schritt für Schritt werden die Interessen der Bevölkerung umgangen und aufgeweicht, damit das staatlich-institutionelle Gebilde aufrecht erhalten werden kann.
Ihm wird alles andere untergeordnet.
Dabei ist das keinesfalls ein Novum, in der langen Geschichte rechtlich-verfasster Nationalstaaten.
So war die Gründung der Europäischen Union ein überstaatliches Kalkül, damit Nationalstaaten zueinander finden und ein gemeinsames Forum benutzen, anstatt auf Schlachtfeldern ihre Widersprüche auszutragen.
Doch anstatt in neuen Krisenzeiten den nächsten Integrationsschritt zu gehen, und Mut zum Wandel zu beweisen, sind es vor allem die westlichen Staaten, die ihre Macht nicht abgegeben, teilen oder überwinden können, sondern gewillt sind, ihre eigenen Positionen und Einflüsse auszubauen, um ihre institutionelle Verfasstheit zu bewahren.
Die Anstrengungen diese Logik zu überwinden fällt hinter den Zwang des Marktes zurück, denn in der Vernetzung und dem Fluss globalen Geldes, hat jeder Akteur Angst zu kurz zu kommen.
Rein ins autokratische Zeitalter
Noch entflammbarer wird dieser Konflikt, da innerhalb einer marktgetriebenen Dynamik der Zeit raubende Faktor parlamentarischer Austarierungsprozesse zunehmend außer Kraft gesetzt wird.
Politische Macht wird entschieden zentriert um schneller, automatischer und ökonomischer regieren zu können.
Der Markt funktioniert dann am besten, wenn wenige Entscheidungsinstanzen ihn minimal zu ihren Gunsten regulieren können. Ein wachstumsorientierter Markt braucht die Autokratie.
In all diesem Geschreie und in diesen dystopischen Entwicklungen, wird es früher oder später dazu kommen, dass die Konflikte schärfer werden.
Es ist nicht die Frage ob, sondern wann.
Und spätestens dann werden auch die passiven Akteure dazu gezwungen werden, sich rein aus dem Überlebenswillen heraus zu entscheiden.
Und welche Optionen die G20 übrig lassen, auch das hat Hamburg gezeigt.
Denn so gut wie die G20 darin sind, Missstände schönzureden und Verantwortung verbal zu umgehen, umso mehr werden Gewalttaten statt Worte folgen.
Konstruktiver Widerstand
Der G20-Gipfel hat gezeigt, dass militante Krawalle autoritär argierende Strukturen weiter stärken und berechtigte politische Ziele und Forderungen dadurch in den Hintergrund geraten.
Ein konstruktiver Widerstand, gegen die fortschreitenden Einschränkungen, demokratischer Rechte ist daher nur friedlich und gewaltfrei möglich.
Er besteht aus einer kritischen Analyse der bestehenden Verhältnisse, der Formulierung umfassender Reformvorschläge und der Einsatzbereitschaft hinsichtlich aller grundrechtlich abgesicherter Handlungsoptionen.
Man kann nur hoffen, dass durch den Einsatz dieser Form des zivilen Widerstands  auch in Zukunft möglich bleibt. Undnicht nur zwischen den Optionen eines Polizeistaats  und einem Zustand der Rechtslosigkeit gewählt werden kann.
Es bleibt die Hoffnung, dass dadurch die transnationalen Strukturen konstruktiv demokratisiert werden, um Nationalstaaten zu entmachten, aber föderale, regionale, städtische und kommunale Verwaltungen zu stärken.
Demokratie muss von der Basis gedacht werden und bedarf daher einer antiautoritären Führung, die gute Ideen verbindet und unterschiedliche Möglichkeiten gleichberechtigt zur Abstimmung stellt.
Demokratie funktioniert nicht, wenn eine Veranstaltung wie G20  und die damit verbundenen Entscheidungen von oben herab getroffen werden oder wenn im nachhinein niemand Verantwortung für das eigene scheitern übernimmt.
Umso wichtiger ist es jetzt, dass wir uns als Demokratische Bewegung und als Zivilgesellschaft nicht darauf konzentrieren, auf die Krawallmacher und die Instrumentalisierung des schwarzen Blocks einzugehen. Sondern vielmehr darauf die Ereignisse dieses G20 Gipfels aufzuarbeiten um anschließend konstruktive Kritik an der damit verbundenen Politik zu üben. Denn nur so kann ein Gesellschaftlicher Rückschritt aufgehalten werden, bei dem wieder über Grundrechte diskutiert werden muss anstatt darüber nachzudenken wie eine Ökologische, Solidarische und Gerechte Zukunft aussehen sollte.
 

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