An dieser Stelle veröffentlichen wir häufig Texte unserer Mitglieder. Nachfolgend findet ihr einen Text darüber, wie man Selbstbestimmung und politische Mitwirkung neu denken kann. Der Text wurde von einer Gruppe Menschen im Rahmen der Fearless Cities Bruxelles Veranstaltung im September, unter Leitung von Guilherme Serodio erarbeitet. Ich finde ein Ziel für das es sich zu kämpfen lohnt.
Die Zukunft Europas hängt stark vom Erfolg seiner Städte ab. Wo Städte und Gemeinden von der Sparpolitik betroffen sind, stärken Kommunalismus und Commons die politische Phantasie, die Bürgerbeteiligung, die kollektive Selbstbestimmung und Widerstandsfähigkeit.
Was ist Kommunalismus?
Kommunalismus steht für eine im ursprünglichen Wortsinn kommunal organisierte Form der Gemeinde oder Stadt und basiert auf direkter Bürgerbeteiligung. Diese Form urbaner Demokratie will Gemeinschaften schaffen und stärken, Brücken zwischen zivilgesellschaftlicher Innovation und politischer Entscheidungsfindung schlagen sowie kontinuierliche Verbesserungen und Reformen wirksam, demokratisch und von unten nach oben fördern. Beim Kommunalismus geht es um Partizipation und das Recht zu entscheiden. Er verschiebt die soziale und wirtschaftliche Dynamik einer Stadt, indem er mehr Raum, Budget und Unterstützung für Bürgerinitiativen, lokale und zirkuläre Ökonomien schafft und außerdem Offenheit, Zusammenarbeit und Partizipation ebenso fördert wie Feminismus und Konfluenz, Transparenz und Ethik – alles wesentliche Säulen dieser neuen Art von Politik.
Was sind Commons?
In einer „Ökonomie des Gemeinsamen“ steht das Gedeihen geteilter Ressourcen, der Commons, im Vordergrund. Diese Commons werden aktiv von einer Gemeinschaft oder einer Partnerschaft von Stakeholdern verwaltet. Dabei kann es sich um immaterielle Commons handeln (Wissensaustausch, Software-Codes, Designs usw.) oder aber um urbane Commons, wenn etwa Bürger*innen die Versorgungssysteme selbst in die Hand nehmen, um Staats- und Marktversagen auszugleichen. Sie ergänzen die partizipative Logik des Kommunalismus – die kollektive Herrschaft der Bürger*innen – um autonome Initiativen, durch die sie lernen, ihre Probleme selbst zu lösen und die Ressourcen auf der Grundlage gemeinsamer Anstrengungen besser zu nutzen. Durch die Selbstverwaltung sind Commons auch Schulen der Demokratie und Partizipation und laden die Kommunen ein, sich zu Partnerstadtmodellen zu entwickeln, in denen die öffentliche Hand die individuelle und soziale Autonomie ihrer Bürger systematisch unterstützt und Gemeinschaft ermöglicht.
Was würde eine kommunalistische Demokratie für die EU bedeuten?
In einer netzwerkbasierten Gesellschaft (wie der, in der wir leben) sind pyramidenförmige Verwaltungsstrukturen (wie die, mit denen wir leben) nicht mehr effektiv und werden zu Entscheidungsengpässen. Sie untergraben das Vertrauen in die Legitimität von Entscheidungsprozessen und halten viele Menschen – obwohl ihre politischen Rechte institutionell gesichert sind – von echter Mitwirkung ab. Tatsächlich scheint unsere gegenwärtige Demokratie an Legitimität zu verlieren, weil sie dazu beiträgt, einen unbefriedigenden Status Quo aufrechtzuerhalten. Doch mithilfe digitaler Technologien haben wir eine einzigartige historische Chance, Rechenschaftspflicht und Information für alle durchzusetzen sowie nachhaltige Praktiken voranzutreiben.
Demokratie soll ein lebendiges Wesen sein, das sich weiterentwickeln und verbessern muss, um mit den sich schnell verändernden Zeiten Schritt halten zu können. Deshalb sollten wir Macht dezentralisieren, Wissen offen teilen sowie Transparenz und Demokratie in der Europäischen Union und unseren Städten radikal stärken.
Der Kommunalismus mit seinem wirkmächtigen lokalen Ansatz ist geeignet, die globale Abstraktion mit konkreten lokalen Aktionen zu bekämpfen und damit zu beginnen, staatliche Institutionen in mächtige Verbündete gesellschaftlicher Transformation zu verwandeln. In der kommunalistisch organisierten Stadt oder Gemeinde können Bürger*innen mit ihrer eigenen emanzipierten Handlungsfähigkeit experimentieren, die alltägliche Realität gestalten und den Raum zurückerobern, in dem sie sich engagieren und gemeinsam entscheiden können.
Die gemeinsame Erfahrung mit dem Kommunalismus kann neue Beziehungen zwischen Bürgern und Politik knüpfen. Dadurch wäre sie nicht nur auf Stadtebene für eine erneuerte Demokratie von grundlegender Bedeutung, sondern auch für die umfassendere Gestaltung eines neuen institutionellen Dialogs in Europa: „Gemeinde in der Europäischen Union“ statt des heute vorherrschenden „Nationalstaats in der Europäischer Union“.
In einer globalisierten Wirtschaft und einem zunehmend als bedrohlich wahrgenommenen internationalen Umfeld ist es von entscheidender Bedeutung, die Demokratie auf allen Ebenen wiederzubeleben. Insbesondere muss die Europäische Union dafür sorgen, dass die demokratischen Grundsätze, die Rechtsstaatlichkeit und die Menschenrechte auf ihrem Territorium geachtet werden, um auch international glaubwürdig zu sein. Nur dann kann die Zusammenarbeit (vor allem unter den lokalen Akteuren) im Dienste der Entwicklung demokratischerer Strukturen Früchte tragen. Neben verfahrenstechnischen Aspekten ist die EU ein Trendsetter bei den Umwelt- und Datenschutzstandards, die für alle Wirtschaftsakteure verbindlich sein sollten. Durch die Berücksichtigung der sozialen und ökologischen Auswirkungen wirtschaftlicher Aktivitäten, durch Anreize für nachhaltige Praktiken und demokratische Grundsätze kann ein fruchtbarer Boden für kommunale Initiativen geschaffen werden.
Was kann die EU für das Gemeinwesen und den Kommunalismus tun?
Wenn der Kommunalismus und das Gemeinwesen gedeihen und sich ausweiten sollen, wird es entscheidend sein, Unterstützungsstrukturen zu schaffen, ein fruchtbares Ökosystem zu entwickeln sowie politische und wirtschaftliche Barrieren auf verschiedenen politischen Ebenen abzubauen. Die regionalen, nationalen und europäischen politischen Ebenen müssen neu gestaltet werden, damit Initiativen von unten gedeihen und zu den neuen, nachhaltigeren Grundlagen unserer sozioökonomischen Infrastruktur werden können.
Abschließend deshalb einige Forderungen für den „European Spring“:
- Verbesserte Vergabepraktiken (sowohl für europäische Forschungs- als auch für Investitionsfonds), die diejenigen Städte, Regionen und Projekte belohnen, die kommunalistische Ansätze und Kooperationsmodelle zur Förderung einer stärker diversifizierten Wirtschaft (insbesondere durch die Einbeziehung der Commons-basierten Wirtschaft) und faire soziale Praktiken umsetzen.
- Bereitstellung einer europäischen Plattform für die organisatorische Unterstützung vielversprechender Projekte, Organisationen und Initiativen auf lokaler Ebene. Nach dem Vorbild der Wirtschaftsförderung könnte die Plattform den Aufbau von Kapazitäten kleiner Unternehmer*innen, Mitarbeiter*innen und Netzwerker*innen in den Ökosystemen der kommunalen Gemeinschaften ermöglichen. Besonderes Augenmerk sollte darauf gelegt werden, diese Projekte, Organisationen und Initiativen wirtschaftlich, sozial (insbesondere in Bezug auf Beschäftigungspraktiken) sowie ökologisch nachhaltig und möglichst unabhängig von externer Finanzierung zu gestalten.
- Unterstützung der institutionellen Reform auf angemessener politischer Ebene durch Pilotprojekte für kommunale Experimente und Praktiken in Städten, Dörfern und kleineren Regionen in ganz Europa sowie Förderung des Austausches bewährter Verfahren in Open-Source-Plattformen mit angemessener Finanzierung.
- Etablierung eines Modells, das es den Bürger*innen ermöglicht, sich aktiver an der Gemeindepolitik zu beteiligen (von den Bürger*innen zum Bürgermeister, nicht vom Bürgermeister und den Lobbys zu den Bürger*innen). Beispielsweise könnte es öffentliche Treffen geben, bei denen die Menschen ihren Willen zum Ausdruck bringen und gemeinsam über wichtige Angelegenheiten entscheiden können.
Einrichtung von Kanälen zwischen den Kommunen und der EU, um den Bürger*innen der EU die Möglichkeit einer aktiven politischen Beteiligung auch auf EU-Ebene zu geben. Diese Kanäle könnten EU-Referenden abhalten oder – so die Anzahl der Kommunen hoch ist – sogar eine Art Online-Parlament sein, in dem die Vertreter*innen der Kommunen ihren Willen erklären.
Ein Beitrag von einem unserer DiEM25 Mitglieder
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