Die Eurogruppe traf sich gestern, Montag, den 16. März, um ihre koordinierte finanzpolitische Antwort auf die massive Rezession zu geben, die nach der Abschottung eines Großteils der europäischen Länder bereits im Gange ist. Die Aufgabe, vor der sie stehen, ist enorm: Wenn die Warenverkäufe, der Tourismus, die Dienstleistungen usw. nur für einen Monat (was sicher ist) um 50% und dann für nur zwei weitere Monate (d.h. im besten Fall) um 25% sinken, dann wird das jährliche Wachstum minus 10% betragen. In ganz Europa!
Was also war die Pflicht der Eurogruppe zu verkünden? Einen sofortigen massiven haushaltspolitischen Impuls, um den Menschen die Gewissheit zu geben, dass sie nicht ärmer sein werden. Die Regierung von Hongkong zum Beispiel hat 10 Milliarden Dollar sofort in die Wirtschaft gepumpt, indem sie dem Finanzamt anordnete, jedem Haushalt sofort 1250 Dollar auf seinem Bankkonto gutzuschreiben.
Von der Eurogruppe konnte nicht erwartet werden, dass sie so schnell handeln würde, aber Tatsache ist, dass nichts weniger als eine 5%ige Finanzspritze nötig war, um das Desaster von -10% des BIP auf, sagen wir, -3% zu reduzieren (unter der Annahme eines sehr großen Multiplikatoreffekts).
Wofür hat sich die Eurogruppe stattdessen entschieden?
Hier ist ihre offizielle Mitteilung, in der sie so manche beeindruckende Zahl ankündigt. Die Kommentatoren sprachen von einem großen Geschütz, mit dem man die Rezession bekämpfen wolle. In Wirklichkeit war das Geschütz eine erbärmliche Wasserpistole. Einmal mehr erwies sich die Eurogruppe nicht nur als funktionsunfähig, sondern als eine ernstzunehmende und gegenwärtige Gefahr für die Europäer.
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Als erstes fällt auf, was sie nicht getan haben. Wie jeder weiß, stecken die Regierungen der Eurozone in der Zwangsjacke des so genannten Fiskalpaktes, der nahezu keinen Spielraum für konjunkturpolitische Ausgaben zulässt. Dieser Fiskalpakt enthält jedoch eine Klausel, die im Notfall aktiviert werden kann und die die Regierungen vorübergehend entbindet und es ihnen erlaubt, bei einer unerwarteten Krise Mittel bereitzustellen. Vor dem gestrigen Treffen erwartete fast jeder, dass die Eurogruppe die Aktivierung dieser Klausel ankündigen würde. SIE HABEN ES NICHT GETAN!
Was sie stattdessen verkündeten, waren zwei Dinge: Erstens, eine Unzahl von Krediten für den privaten Sektor. Zweitens verwiesen sie auf die Inanspruchnahme der so genannten automatischen Stabilisatoren und auch auf nicht näher spezifizierte Maßnahmen in Höhe von 1% des BIP. Lassen Sie uns diese beiden Dinge getrennt betrachten:
DARLEHEN
– Die Europäische Investitionsbank wird 8 Milliarden Euro an Betriebsmittelkrediten für 100.000 europäische Unternehmen anbieten und verspricht, diese Summe auf 20 Milliarden Euro zu erhöhen.
– Die Eurogruppe spielt mit dem Gedanken, den Rettungsfonds (den Europäischen Stabilitätsmechanismus, ESM) aufzufordern, seine ungenutzte Darlehenskapazität von 410 Milliarden Euro zu nutzen.
Bevor wir uns in den Einzelheiten dieser 430 Milliarden Euro potenzieller Kredite verlieren, ist es entscheidend, dass wir an dem wichtigen Hinweis in diesem Zusammenhang festhalten: Kredite sind nutzlos, wenn das Problem nicht die fehlende Liquidität, sondern die Insolvenz ist. Es ist ein sinnloses Geschenk, einer Firma Geld zu leihen, deren Kunden nicht mehr vorhanden sind und die wissen, dass es bei der Rückkehr der Kunden nahezu unmöglich sein wird, die neuen und alten Schulden zurückzuzahlen. Was die Unternehmen jetzt brauchen, ist entweder die Regierung als Käufer der letzten Instanz oder einen Erlass ihrer Verbindlichkeiten – keine neuen Kredite.
Betrachtet man nun die Einzelheiten, so sind die EIB-Darlehen ein Tropfen auf den heißen Stein. Außerdem bestehen sie den Praxistest nicht, wie jeder weiß, der schon einmal einen Antrag für ein EIB-Darlehen stellen musste. Was den ESM betrifft, so wäre dies ein Witz, wenn die Situation nicht so ernst wäre. Warum ein Witz? Weil jedes Darlehen des ESM mit so genannten „Konditionalitäten“ versehen ist. Welche sind das? Die Regierung, die das Darlehen erhält, muss eine MoU-Verpflichtung (Memorandum of Understanding) unterzeichnen (wie Griechenland 2010), die massive zukünftige Sparmaßnahmen beinhaltet und somit den betreffenden Staat noch mehr zum Vasallen Brüssels macht. Kann sich jemand ernsthaft vorstellen, dass die italienische Regierung mit der Unterzeichnung einer solchen MoU-Verpflichtung ihr eigenes Todesurteil unterschreibt?
STEUERSTUNDUNGEN und eine 1%ige ANPASSUNG des BIP
Die Schlagzeile, mit der die Zeitungen diesertage titeln, lautet „1 % des BIP der EU für steuerpolitische Maßnahmen“. Aber wenn wir uns diese Maßnahmen ansehen, stellen wir fest, dass ihnen jegliche Details fehlen. Das einzige Konkrete, das sie erwähnen, sind Steuerstundungen: Unternehmen und Haushalte brauchen bis zum Ende des Jahres keine Mehrwertsteuer und andere Steuern zu zahlen. Aber auch dies ist, wie die Kredite an Unternehmen, eine gescheiterte Politik. Selbst wenn die Abschottung endet und man zum „Business-as-almost-usual“ zurückkehrt, werden die Europäer nicht genug verdienen, um die aufgeschobenen Steuern plus die neuen zu bezahlen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass bis dahin viele Unternehmen und Arbeitsplätze verschwunden sein werden.
Kurzum, die Europäer hätten einen Steuer-Erlass nötig. Stattdessen bekommen sie einen Zahlungsaufschub, eine Art staatliches Darlehen, mit dem sie ihre Steuern später zurückzahlen können. Ein noch spektakulärerer Beweis dafür, dass die Eurogruppe ihre Lektion aus der Eurokrise von 2010 nicht gelernt hat: Kredite an die, die bankrott sind, helfen nicht!
Die Antwort von DiEM25 auf die Frage: Was hätten die Finanzminister tun sollen?
Das Mindeste, was die Eurogruppe dem Europäischen Rat hätte empfehlen sollen, ist, dass die Europäische Investitionsbank grünes Licht für die Emission von EIB-Anleihen im Wert von 600 Milliarden Euro erhält, mit der Auflage, dass die Europäische Zentralbank im Rahmen ihres laufenden und kürzlich verstärkten Programms zur quantitativen Lockerung den Wert dieser Anleihen auf den Anleihemärkten unterstützt. Diese 600 Milliarden Euro sollten direkt zur Unterstützung des nationalen Gesundheitswesens ausgegeben werden und auch in Wirtschaftssektoren investiert werden, die von der Abschottung stark betroffen sind – und gleichzeitig sollte unsere Wirtschaft auf umweltfreundlichere Formen des Transports, der Energieerzeugung usw. umgestellt werden. Außerdem sollte der Fiskalpakt sofort außer Kraft gesetzt werden, und die Regierungen sollten einen Steuerabschlag für kleine und mittlere Unternehmen, Haushalte usw. vornehmen.
Dies würde wahrscheinlich ausreichen, die Rezession zwar nicht abzuwenden, aber doch auf etwa minus 1 bis minus 2 Prozent des BIP zu begrenzen. Um sie vollständig abzuwenden, hätte die Eurogruppe beschließen sollen, Hongkong nachzuahmen und die Europäische Zentralbank aufzufordern, einen Notfallfonds einzurichten, aus dem jeder europäische Haushalt zwischen 1000 und 2000 Euro erhält.
ZUSAMMENFASSUNG
Diejenigen von uns, die wissen, wie die Eurogruppe funktioniert, hatten gestern keine großen Hoffnungen. Doch die europäischen Finanzminister haben es geschafft, noch weniger zu tun, als wir befürchtet haben: Sie haben es versäumt, den Spielraum des Fiskalpaktes für eine Lockerung der Haushaltspolitik in der gesamten Eurozone zu nutzen. Sie hielten an dem tragischen Fehler fest, eine Insolvenzkrise als Liquiditätskrise zu behandeln. Und sie haben nicht erkannt, dass einige Länder, insbesondere diejenigen, die von der nie endenden Euro-Krise heimgesucht wurden, sehr viel mehr Unterstützung benötigen als andere.
Kurz gesagt, das Geschütz der Eurogruppe ist nicht mehr als eine peinliche Wasserpistole. Es ist an der Zeit, dass die Europäer auf etwas Besseres als das hier drängen. Es ist an der Zeit, dass wir uns auf transnationaler, gesamteuropäischer Ebene organisieren, um dieses Werkzeug der von Sparmaßnahmen getriebenen Rezession, das wir Eurogruppe nennen, durch eine Institution zu ersetzen, die für eine Mehrheit der Europäer überall funktioniert.
ANHANG: Der vielsagende Hinweis der Eurogruppe auf „automatische Stabilisatoren“
Das gemeinsame Kommuniqué der Eurogruppe verwies auf die „vollständige Nutzung der automatischen Stabilisatoren“. Was bedeuteten das?
Hier ist ein Beispiel für einen „automatischen Stabilisator“: Wenn Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren, erhalten sie Arbeitslosengeld. Das bedeutet einen Geldtransfer von den Bessergestellten zu den Schlechtergestellten. Da die Schlechtergestellten, die jetzt arbeitslos sind, nichts sparen, kommt mehr Geld von den Bessergestellten auf die Märkte. Das ist es, was Ökonomen als „automatischen Stabilisator“ bezeichnen („automatisch“, weil es keiner Regierungsentscheidung bedurfte, um ihn zu aktivieren – der Verlust von Arbeitsplätzen tut es automatisch -, und „Stabilisator“, weil der höhere Anteil der Ausgaben im Verhältnis zu den Ersparnissen das BIP anhebt).
Können Sie, liebe*r Leser*in, sehen, was die Eurogruppe wirklich meint, wenn sie sich dazu bekennt, sich auf die „automatischen Stabilisatoren“ zu verlassen, wenn es keine konzertierte haushaltspolitische Aufrüstung gibt? Sie sagen: Macht euch keine Sorgen, Leute. Es stimmt zwar, dass wir, die Finanzminister, fast nichts tun, um die Katastrophe abzuwenden, aber wenn die Katastrophe kommt, werden eure Arbeitsplatzverluste und eure Armut einen automatischen Mechanismus auslösen, der den Niedergang der Wirtschaft aufhalten wird. Das ist ein wenig so, wie Pestopfer mit dem Gedanken zu trösten, dass ihr Tod durch die Verringerung des Arbeitskräfteangebots die künftigen Löhne und Gehälter in die Höhe treibt …
Mehr auf Yanis Varoufakis’ Blog „Thoughts for the Post-2008 World“.
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