Ein Kommentar von DiEM25-Mitglied Christine Madelung
Auch wenn sich DiEM25 in seiner Programmatik und Zielen nicht explizit als Frauenrechtsorganisation versteht, sind doch gendergerechter Umgang miteinander und der Einsatz für Frauenrechte dabei immer mitberührt. Gerade angesichts zunehmender globaler gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ungleichheit spielen diese Themen mit hinein in den Kern der Arbeit von DiEM25.
Das Zitat von Simone de Beauvoir, dass Frauen nicht als Frauen geboren, sondern erst zu Frauen gemacht würden, ist mehr als ein halbes Jahrhundert alt und kommt inzwischen schon reichlich altbacken daher. Dennoch sehen wir, dass trotz seit mehr als hundert Jahren zunehmender Sichtbarkeit und Bedeutung von Frauen im öffentlichen Leben, in der politischen Willensbildung und Entscheidungsfindung, in Arbeit und Wirtschaft, immer noch in Bezug auf Gleichberechtigung, Teilhaberechte und Unversehrtheit der Person weltweit vieles sehr im Argen liegt.
Noch immer sind weltweit Frauen in besonderer Weise von Menschenrechtsverletzungen betroffen: Durch sexualisierte Folter und Behandlung in politischer Haft, durch frauenspezifische Repression in kriegerischen Auseinandersetzungen und in Friedenszeiten, durch Vergewaltigung als militärische Strategie, sowie durch geschlechtsspezifische Übergriffe auf Frauen als Angehörige von Minderheiten sind Frauen fast regelhaft sexueller Folter, Ausbeutung und Versklavung ausgesetzt. Ein neueres Beispiel ist das Schicksal der Jesidinnen im Nahen Osten. Frauen erleiden hier nicht nur das gleiche Schicksal wie ihre männlichen Angehörigen, sie erleiden zusätzlich(!) frauenspezifische Repression.
Frauen sind diejenigen, die bei Umweltkrisen, bei nachlassenden Agrar- und Wasserressourcen die Versorgung der Familie sicherstellen müssen. Und Frauen sind ebenfalls und hier auch wieder auf besondere Weise bei Flucht und Vertreibung betroffen: Als zurückgebliebene Verantwortliche für Familie und Kinder, als Alleinreisende mit Kindern und als Mitfliehende, denen auf der Flucht und in Lagern die Aufrechterhaltung des Überlebens der Familie obliegt. Gerade hier während der ungeschützten und ungesicherten Fluchtsituation sind Frauen zusätzlich zu den allgemeinen Härten und Gefahren besonders von sexueller Gewalt und Ausbeutung bedroht. Zum Teil ausgeliefert an Schlepper, wird ihre Situation häufig für Frauenhandel und Zwangsprositution ausgenutzt, weil dies die einzige Möglichkeit ist, eine Weiterflucht zu finanzieren.
Frauen an den Nähmaschinen, an Tee- und Kaffeesträuchern, auf glyphosatverseuchten Äckern überall im globalen Süden, an den Fließbändern für Plastikramsch und Billigpielzeug – Es ist unter anderem diese kritische Sichtweise auf die Arbeitsbedingungen von besonders Frauen, die DiEM25 in Bezug auf internationale Lieferketten einnimmt.
Frauenhandel und sexuelle Versklavung, Genitalverstümmelung, Zwangsverheiratung und -verschleierung ebenso wie Kinderpornographie, fast immer sind es Mädchen und Frauen, die in den Schattenräumen autoritärer, aber auch “freier” Gesellschaften im Sinne männlicher Allmachtsfantasien und Dominanz entwürdigt, ausgebeutet und misshandelt werden. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass noch heute in allen Gesellschaften ein übergroßer Anteil von Vergewaltigung und Gewalt gegen Kinder und Frauen im häuslichen, im familiären Umfeld stattfindet.
„… Wie sexualisierte Gewalt gegen Frauen ist sexualisierte Gewalt gegen Kinder ein klassenloses Verbrechen. Ein Verbrechen, das aus der Mitte der Gesellschaft kommt und in ihrer Mitte stattfindet. Das nicht auf einzelne Schichten, soziale Randgruppen, kulturelle Milieus oder Berufsbranchen beschränkt ist. Das seine Tatorte überall findet, in der Wohnung, am Arbeitsplatz, in Schul- und Kirchenräumen, im Sportverein. Frauen und Kinder werden getötet, verletzt, erniedrigt, gedemütigt, um das Machtbedürfnis der Täter zu befriedigen. So spiegeln diese Taten auch die gesellschaftlichen Machtverhältnisse wider. Bei sexualisierter Gewalt gegen Frauen sind die Täter zu 99 Prozent männlich. Bei Kindern als Opfer sind es kaum weniger. …“
– Bascha Mika, Frankfurter Rundschau, 6. Juli 2020
Jenseits von sexueller Ausbeutung und politischer Verfolgung gibt es im Alltag auch in der so genannten ersten Welt immer noch deutliche Benachteiligungen, etwa im Arbeitsleben und der Wirtschaft die sogenannte gläserne Decke für Frauen in der betrieblichen Hierarchie. Es gibt auch bei uns immer noch ungleichen Lohn für gleiche Arbeit. Frauen trauen sich, obwohl inzwischen oftmals besser ausgebildet, häufig weniger zu, lassen sich und werden oft übersehen – und erst langsam lernen nachwachsende Generationen von jungen Frauen, sich zu behaupten und ihren Platz einzufordern.
Die Corona Zeit hat es wie ein Brennglas wieder gezeigt: Es waren hauptsächlich Frauen, die in Supermärkten, Krankenhäusern und Altenpflegeeinrichtungen den Betrieb am Laufen gehalten haben. Es waren die unteren und untersten Lohngruppen, die hier auf einmal als „systemrelevant“ gesehen wurden. Und dennoch wird ihnen, nachdem jetzt das abendliche Klatschen verebbt ist, diese Arbeit an vorderster Front nicht vergütet. Die Forderung nach gerechteren Löhnen und einer anerkennenden Einmalzahlung hat sich mit zunehmender Rücknahme der pandemiebedingten Einschränkungen wieder verflüchtigt. Mehr noch: Die Phase des globalen Shut Downs scheint zum Rollback zu werden: Zurückgedrängt – häufig neben eigener Home-Office Arbeit – haben hauptsächlich Frauen die Sorge für die Kinder, das Homeschooling und die Carearbeit in der Familie übernommen. Angesichts der weiterhin ungewissen Ansteckungssituation in Schulen und Kindertagesstätten, angesichts zunehmenden Abstandsverlusts vornehmlich männlicher Partygänger, scheint sich das so bald nicht grundlegend zu ändern. Bei Schließungen wird wieder selbstverständlich auf die weibliche Familienarbeit zurückgegriffen werden, so sind z.B. in Grundschulen, Krankenhäusern usw. hauptsächlich weibliche Professionelle von Ansteckung bedroht. Das lief und läuft so selbstverständlich, als hätte es Gleichberechtigung im Zugang zu Bildung, Arbeit und gesellschaftlicher Teilhabe nie gegeben.
Und dennoch gilt es, sie wahrzunehmen und zu hören: Die „starken Frauen“, die Menschenrechtsaktivistinnen, die Gewerkschaftlerinnen und Rechtsanwältinnen, Politikerinnen und Frauen in Wissenschaft und Forschung. Im amerikanischen Kongress sind es seit den letzten Kongresswahlen gerade besonders progressive junge Frauen, die Trump Paroli bieten, allen voran Alexandria Ocasio-Cortez.
Frauen sind keine Opfer der Umstände sondern in allererster Linie Subjekte politischen und ökonomischen Handelns: Ein gutes Beispiel dafür ist Hannah Arendt. Die Rezeption ihrer Arbeit und ihrer philosophischen Expertise ist ungebrochen, sie wird gerade jetzt angesichts eines erstarkenden rechtslastigen Populismus besonders häufig zitiert. Ihr gilt zur Zeit besondere Aufmerksamkeit durch eine große Ausstellung über ihr Leben und ihr Werk im Deutschen Historischen Museum in Berlin, die noch bis zum 18. Oktober dieses Jahres läuft.
Foto: Gedenkfeier nach der Ermordung Marielle Francos, Uta Grunert, 12 April 2019
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