Ein Kommentar des Koordinationsteams von MERA25 und DiEM25 in Deutschland zum Tode Wolfgang Schäubles
Wolfgang Schäuble ist nicht mehr. Würdigungen des verstorbenen CDU-Politikers durch Medien und politische Weggefährten ließen nicht lange nach der Nachricht über den Trauerfall auf sich warten. Bundeskanzler Scholz sieht in Schäuble einen “streitbaren Demokraten”, Altkanzlerin Merkel einen “leidenschaftlichen Europäer”. Bundespräsident Steinmeier betont die “demokratische Überzeugung“ des ehemaligen Kanzleramts-, Innen- und Finanzministers, während Bundestagspräsidentin Bas ihren Amtsvorgänger als einen “leidenschaftlichen Streiter für die parlamentarische Demokratie” bezeichnet.
Für Bundesaußenministerin Baerbock von den Grünen (“verdient gemacht um die deutsche und europäische Einigung”) ist das politische Lebenswerk Schäubles scheinbar genauso lobenswert wie für CDU-Chef Merz („großer Europäer”) oder Ex-Linksfraktionsvorsitzenden Bartsch (“herausragender Demokrat”). EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen nennt Schäuble in einem persönlichen Nachruf für die Bild einen „Herzenseuropäer“ und bescheinigt ihm gar einen “tiefen Respekt vor dem demokratischen Diskurs”.
Die meisten dieser vielen Huldigungen blenden praktischerweise zwei maßgebliche Details aus, die große Schatten auf die Karriere des baden-württembergischen Bundestagsabgeordneten werfen. Zum einen die Parteispendenaffäre der CDU, in die Schäuble Ende der 90er/Anfang der 00er Jahre verwickelt war, und im Zuge derer er selbst eingeräumt hatte, illegale Bestechungsgelder in Höhe von 100.000 DM von einem Rüstungslobbyisten entgegengenommen zu haben. Korrumpierbarkeit, ganz gleich, ob aus Motiven der Habgier oder des politischen Vorteils, kann wohl kaum als Charakterstärke ausgelegt werden und erodiert das demokratische System. Eine Tradition, die in Schäubles Partei auch 2023 fortbesteht.
Glückliche Überlebende: Die Europäische Währungsunion
Der größte, nachhaltigste Schaden allerdings ergibt sich aus der Zeit des promovierten Juristen im Amt des Bundesministers der Finanzen ab 2009. Durch seine im Nachgang der Weltfinanzkrise rigide Fiskalpolitik zur “Sanierung” der öffentlichen Haushalte verschrieb er den Volkswirtschaften der Eurozone, insbesondere im Süden des Kontinents, eine (konjunkturell prozyklisch wirkende) Austeritätskur, welche die privaten und öffentlichen Nettoinvestitionen zum Erliegen brachte und Schuldenstände in Relation zur Wirtschaftsleistung weiter nach oben schnellen sah. Wie unnachgiebig Schäuble 2015 in der Eurogruppe über die Staatsfinanzen Griechenlands verhandelte, dokumentieren die Euroleaks von DiEM25.
Die dadurch hervorgerufenen sozialen Verwerfungen – explodierende Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit, Verlust der Krankenversicherung, Armut und Kindersterblichkeit – gingen so weit, dass sogar ein signifikanter Anstieg der Selbstmordraten beobachtet werden konnte. Die europaskeptischen bis hin zu europafeindlichen Gefühle wesentlicher Teile der Bevölkerung, die diese Politik des “fiskalischen Waterboarding” (Yanis Varoufakis) mit sich brachte und bis heute verursacht, gehen auch auf das Konto des damaligen deutschen Finanzministers und vermeintlich „großen Europäers“ Wolfgang Schäuble.
Der in Parlamentswahlen oder Referenden geäußerte Willen der griechischen Bevölkerung zur politischen Kursumkehr galt ihm dabei nichts, jedenfalls nicht mehr als die getrocknete Tinte auf dem von der Vorgängerregierung unterzeichneten Vertrag über das “Rettungsprogramm”. Eine Demokratie-verachtende Haltung des “herausragenden Demokraten”, die ihren Ausdruck sinngemäß in dem Satz fand, dass Wahlen doch keine andere Wirtschaftspolitik mit sich bringen dürften.
“Wahlen können keine Erlaubnis sein, Wirtschaftspolitik zu ändern.“
Ironischerweise war es Schäuble selbst, der im Gegenzug zu seiner Regierungschefin die ökonomische Absurdität der Bail-Out-Konditionalitäten gegenüber Griechenland erkannte (oder dies zumindest eingestand) und folglich auf einen Exit des Landes aus der Eurozone drängte. Wäre dies eine Lösung gewesen? Keinesfalls die sozialpolitisch beste, wirtschaftspolitisch sinnvollste oder auch die gerechteste Lösung – diese Kriterien könnten nur durch eine Vergemeinschaftung der Schuldtitel und die Umwandlung der Währungsunion zur Fiskalunion erfüllt werden. Letztlich tat Angela Merkel ihr Möglichstes zur Verteidigung der neo-merkantilistischen Interessen der deutschen Industrie sowie der finanziellen Interessen deutscher Banken, also blieb es beim unzumutbaren Status Quo: Kein Grexit, aber ebenso keine EU-Anleihen.
Die finanzpolitische Agenda Schäubles behielt auch nach seinem Rückzug von der Regierungsbank 2018 ihre ideologische Vormachtstellung in den Büros und Fluren des Ministeriums bei und wechselte mit seinem Nachfolger Olaf Scholz und Nach-Nachfolger Christian Lindner nur ihr Gewand von christdemokratisch-schwarz zu sozialdemokratisch-rot und schließlich liberal-gelb. Im Kern blieb es dieselbe, von Kürzungsorgien und “Spar”-Zwang getriebene Politik, wie sie sich erst kürzlich in der dilettantisch herbeigeführten Haushaltskrise der Ampelkoalition zeigte.
Am 26.12.2023 ist Wolfgang Schäuble im Lebensalter von 81 Jahren (davon 51 Jahre als Abgeordneter des Deutschen Bundestags) gestorben. Seinen Angehörigen gilt unser Beileid. Seinen geistigen Erben gilt unser unbedingter Widerstand.
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