Zukunftsthemen in Frankfurt (Teil 1)

Eine außergewöhnliche Veranstaltung für die deutsche Politiklandschaft mit außergewöhnlichen Menschen

Am Sonntagabend fanden sich fast 200 Menschen im Frankfurter Gallus-Theater ein, um unserem Event zum Thema “Wie bekommen wir unsere Zukunft zurück” beizuwohnen. Kernstück der Veranstaltung war eine Diskussion zwischen dem international anerkannten Ökonom und DiEM25 Gründer Yanis Varoufakis und Helge Peukert, Wirtschaftsprofessor aus Siegen, der unter anderem attac und Letzte Generation beraten hat.  

Peukert äußerte sich allgemein positiv zum MERA25 Programm für die Europawahl. Soziale Gerechtigkeit, die Wiedererlangung politischer Kontrolle über die Finanzmärkte und deutliche Anstrengungen im Bereich Klimaschutz sind sowohl für ihn als auch für uns Kernthemen, welche man den bestehenden Parteien nicht anvertrauen kann.

Meinungsunterschiede meldete Peukert beim Thema Migration an, denn er will sich darauf konzentrieren, die Situation in den Heimatländern zu verbessern. Dies ist nur ein Teil der Lösung für MERA25 und Varoufakis, der ein leidenschaftliches Plädoyer für eine menschlichere Migrationspolitik gab und insbesondere dafür, Menschen nicht wissentlich im Mittelmeer umkommen zu lassen. 

Die mit Abstand längste Diskussion entwickelte sich jedoch zum Thema Israel / Palästina. Varoufakis erklärte, dass er nicht einfach  wegsehen und nicht normal weitermachen kann, wenn ein Genozid stattfindet. Peukert gefiel dieses Wort nicht – ein Genozid liege seiner Meinung nach nur dann vor, wenn 100% einer Bevölkerung ausgelöscht werden soll. Varoufakis hielt dagegen, dass der Holocaust einzigartig in der Geschichte der Menschheit sei, weil 100% der Juden ausgelöscht werden sollten, bei gewöhnlichen Genoziden jedoch, wie z.B. dem international anerkannten Völkermord an den Armeniern, liege entsprechend der Völkermord-Konvention ein solcher schon dann vor, wenn ein Teil des Volkes zu Tode komme und der Rest vertrieben werde, wodurch die Eigenheit als Volk, der Bezug zu seinen kulturellen Stätten usw. verloren gehe. Dieses Ziel verfolge die Netanjahu-Regierung ganz offen durch die Zerstörung aller lebensnotwendiger Infrastruktur Gazas bei gleichzeitiger Bemühung, die geflüchteten Bewohner Gazas auf verschiedene andere Länder zu verteilen und den Gazastreifen durch Juden neu zu besiedeln. Der anwesende Vorsitzende der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost, Wieland Hoban, unterstützte diese Ansicht in einem späteren Redebeitrag.

Varoufakis hob hervor, dass er weder Hamas noch Netanjahu oder die Siedler verurteilen möchte, weil für ihn letztendlich wir Europäer am Nahostkonflikt schuld seien: wir hätten in Europa über Jahrhunderte hinweg Pogrome gegen Juden verübt, die schließlich im Holocaust gipfelten (hier betonte Varoufakis, dass nicht nur deutsche Nazis beteiligt waren, sondern auch griechische Nazis, kroatische Nazis, französische Nazis usw.). In Palästina hätten die Religionen jedoch vergleichsweise friedlich zusammen gelebt, bis wir Europäer uns entschlossen hätten, unsere Juden dorthin zu exportieren und ihnen ein “menschenleeres” Land zu versprechen (Leitspruch des Zionismus: a land without a people for a people without a land), das jedoch nicht leer gewesen sei, sondern wo bereits mehr als eine Million Palästinenser gelebt hätten, von denen dann Hunderttausende in der Nakba vertrieben worden seien und die bis heute aus immer mehr Landstrichen vertrieben würden (siehe Gaza, Ostjerusalem und Westjordanland). Er zog Parallelen zur Besiedelung Australiens, welches auch von Europäern als terra nullius (Niemandsland) deklariert worden war, um die bestehende Aborigine-Bevölkerung erst zu entmenschlichen und dann gewaltsam zu vertreiben. 

Ist Israels Ziel Vertreibung und Neubesiedlung des Landes oder Verteidigung gegen die Hamas? Varoufakis schlug ein Gedankenspiel vor: was wenn Allah den Hamas-Anführern eine Vision schicke und sie überzeuge, sofort die Waffen niederzulegen, die Geiseln zu befreien und friedliches Zusammenleben mit Israel zu schwören? Was wäre dann? Das Ergebnis sei laut Varoufakis bekannt, wir sähen es im Westjordanland: die ehemalige Widerstandsorganisation dort, Arafats PLO, habe den bewaffneten Kampf aufgegeben und arbeite seit Jahrzehnten eng mit Israels Behörden zusammen, trotzdem würden palästinensische Dörfer im Westjordanland zerstört, die Menschen drangsaliert oder getötet, und neue jüdische Siedlungen unter Schutz der israelischen Armee errichtet, sodass die Zwei-Staaten-Lösung, die diese Regionen einem palästinensischen Staat zusprechen würde, immer unwägbarer werde. Dies sei die Politik Netanjahus, der schon immer gegen die Zwei-Staaten-Lösung gewesen sei und unerklärlicherweise darin von der deutschen Regierung unterstützt werde. Varoufakis sagte, es sei egal, ob die Zwei-Staaten-Lösung doch noch verwirklicht werde oder vielleicht eher ein belgisches Modell, wichtig sei nur eins: Menschenrechte und gleiche Bürgerrechte für alle Menschen der Region.  

(Teil 2 folgt in den nächsten Tagen)

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