Jüdische Organisationen weltweit verurteilen die Bundestagsresolution zu Antisemitismus

Als jüdische Organisationen in 21 Ländern auf 6 Kontinenten, die eine Vielzahl von Mitgliedern mit unterschiedlichen jüdischen Hintergründen und Traditionen vertreten, erklären wir unsere Empörung und Verurteilung gegenüber der Resolution, die am 7. November im Deutschen Bundestag unter dem Titel „Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben schützen, bewahren und stärken“. Der Inhalt der Resolution verhöhnt den Anspruch dieses Titels.

Während die Resolution ein Lippenbekenntnis zu „allen Facetten“ des jüdischen Lebens ablegt, verengt sie dieses Leben auf ein Element: den Staat Israel. Auf die Erinnerung an die Verantwortung Deutschlands nach den Verbrechen des Holocaust folgt im Text direkt der Verweis auf den Angriff vom 7. Oktober 2023 aus dem Gazastreifen, der aus der jahrzehntelangen Enteignung, Unterdrückung und Ermordung der Palästinenser durch Israel resultierte und eine genozidale Kampagne auslöste, die nun schon über ein Jahr andauert. Deutschland war von Anfang an Komplize dieses Völkermords, indem es unablässig militärische und politische Unterstützung leistete, zum zweitgrößten Waffenlieferanten wurde und sogar seine Unterstützung für Israel in der von Südafrika angestrengten Völkermordklage vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag zusagte.

Die Resolution bekräftigt den von allen großen Parteien seit Beginn des Völkermordes verfolgten Ansatz, den Widerstand gegen die Verbrechen Israels als wichtigsten Schauplatz des Antisemitismus in den Mittelpunkt zu stellen. Dies wird genutzt, um Migrant:innen und Geflüchtete, insbesondere arabische und muslimische, unter erhöhten Antisemitismusverdacht zu stellen, zusammen mit dem kleinen Rest an Linken, die deren Rechte unterstützen. Dazu passt, dass die Parteien der vermeintlichen politischen Mitte von der faschistischen AfD begeistert unterstützt wurden, von einer Partei also, die einen konkreten Plan zur „Remigration“ von 2 Millionen Migrant:innen aus Deutschland nach Nordafrika formuliert hat und eine höhere Beliebtheit als alle Regierungsparteien genießt; sie drückte ihre Freude über die Annahme ihrer Formulierung „importierter Antisemitismus“ aus – ein Ausdruck, der den Antisemitismus weißer Deutscher herunterspielen und stattdessen Migranten stigmatisieren soll. Passenderweise wurde diese Freude in einer Rede der AfD-Abgeordneten Beatrix von Storch geäußert, deren Großvater Hitlers Finanzminister war. Indem sie sich mit den Faschisten zusammentaten, um eine Entschließung zu unterstützen, die strengere Einwanderungs- und Staatsbürgerschaftsrichtlinien auf der Grundlage von Meinungen über Israel fordert, haben alle großen parlamentarischen Parteien eindeutig ihr Engagement für Massenabschiebungen und zunehmend normalisierten Rassismus signalisiert.

Diejenigen, die von der in dieser Resolution bekräftigten und geforderten Politik am stärksten betroffen sind, sind nicht-weiße Migrant:innen und Geflüchtete. Die zynische Instrumentalisierung des Antisemitismus macht aber auch alle Jüdinnen und Juden zu Geiseln, deren Sicherheit als Vorwand für die Verfolgung anderer Minderheiten benutzt wird. Wir lehnen die Gleichsetzung unserer Identität mit der siedlerkolonialen Ideologie des Zionismus und den völkermörderischen Handlungen Israels ab, die wir ebenso scharf verurteilen wie die Palästinenser:innen, die von ihm unterdrückt und vernichtet werden und mit denen wir in dauerhafter Solidarität stehen. Diese Gleichsetzung an sich ist schon antisemitisch.

Wie in früheren Resolutionen und Erklärungen wird die Arbeitsdefinition des Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) als Messlatte für die Bestimmung des Antisemitismus herangezogen. Es gibt inzwischen unzählige Texte von Wissenschaftler:innen, die die Definition kritisieren, und selbst einer ihrer Hauptautor:innen, Kenneth Stern, hat seine Bestürzung darüber zum Ausdruck gebracht, dass die Definition verwendet wird, um Widerstand gegen die israelische Politik zu ersticken. In ähnlicher Weise haben Expert:innen aus dem juristischen, kulturellen und akademischen Bereich vor dieser Resolution gewarnt. Und wie die berüchtigte Anti-BDS-Resolution des Bundestags von 2019 nutzt auch die neue Resolution ihren Status als unverbindliche Erklärung aus, um Forderungen zu stellen, die bei einer tatsächlichen Gesetzgebung eklatant verfassungswidrig wären. Wie die Resolution von 2019 gezeigt hat, reicht der repressive Gehorsam deutscher Institutionen aus, um selbst einen Text ohne Rechtskraft in ein De-facto-Gesetz zu verwandeln, das sich auf die abschreckende Wirkung stützt, die mit jedem potenziellen Vorwurf des Antisemitismus einhergeht. Und während jene Resolution dazu aufrief, die Boykottbewegung zu bekämpfen, zielt diese darauf ab, sie zu verbieten.

Trotz der Behauptung, dass die Freiheit der Rede, der Kunst und der Wissenschaft geschützt werden muss, bereitet die Resolution den Boden für eine noch stärkere Einschränkung dieser Freiheiten, als man jetzt schon vielerorts auffindet, insbesondere seit Oktober 2023. Alle großen Parteien sind nun offiziell dafür, die Förderung von Projekten, die den proisraelischen Konsens in Frage stellen, zu unterbinden und alle, die mit solchen Aktivitäten in Verbindung gebracht werden, zum Schweigen zu bringen, auszuladen, zu entlassen oder sogar abzuschieben. Die zentrale Bedeutung dieser Förderung gibt dem Staat immense Zensurbefugnisse, die unweigerlich zu einer zunehmenden Selbstzensur unter denjenigen führen, die Repressionen vermeiden wollen. Angesichts des Rechtsrucks in der deutschen Gesellschaft und Politik wird es nicht lange dauern, bis solche Instrumente in die Hände von Faschisten fallen. Schon jetzt sehen wir, wie die extreme Rechte den Philosemitismus (der selbst ein rassistisches Phänomen ist) zynisch als Deckmantel für den eigenen Rassismus benutzt, und wir wissen nur zu gut, dass diejenigen, die es kaum erwarten können, Muslime abzuschieben, nicht zögern werden, dasselbe mit Jüdinnen und Juden zu tun. Unsere Solidarität mit den Palästinenser:innen setzt uns jetzt schon der Polizeigewalt aus, und der Antisemitismus derjenigen, die uns zwingen wollen, Zionisten zu sein, passt perfekt zum Antisemitismus derjenigen, die uns gerne in Konzentrationslager stecken würden.

Anstatt die Gesellschaft im Kampf gegen jegliche Diskriminierung zu vereinen, spaltet eine solche Resolution Minderheiten, indem sie sich nur auf eine konzentriert. Die vorliegende geht aber noch viel weiter, indem sie von der gesamten deutschen Gesellschaft verlangt, die staatliche Unterstützung Israels und seiner zahllosen dokumentierten Verbrechen zu akzeptieren, und dass diejenigen, die sich dieser Doktrin des Völkermords widersetzen, mit allen verfügbaren Mitteln bestraft werden sollten, obwohl ihre Haltung lediglich dem Völkerrecht entspricht.

Der Aufruf „Nie wieder“ war als Warnung vor genau solchen Verbrechen gemeint, die von Israel gerade in Palästina begangen werden; doch diese Resolution entweiht ihn, indem sie ihn für eine rassistische Agenda verwendet, die Antisemitismus fördert, anstatt ihn zu verhindern, und sowohl Jüdinnen und Juden als auch anderen Minderheiten schadet. Sie muss mit allen Mitteln bekämpft werden.

A Different Jewish Voice (Niederlande)
Agrupación mexicana de judíxs interdependientes
Alternative Jewish Voices of Aotearoa/New Zealand
Antizionist Jewish Alliance in Belgium – AJAB (Belgien)
Articulação Judaica de Esquerda (Brasilien)
Boycott from Within (Palästina/Israel)
Dayenu – New Zealand Jews Against Occupation
De-Colonizer (Belgien)
Een Andere Joodse Stem (Belgien)
Erev Rav (Niederlande)
European Jews for Palestine
Global Jews for Palestine
Independent Jewish Voices (Canada)
International Jewish Anti-Zionist Network (Argentina)
International Jewish Anti-Zionist Network (Kanada)
International Jewish Anti-Zionist Network (UK)
Israelis Against Apartheid (Palästina/Israel)
Jewish Call for Peace (Luxemburg)
Jewish Network for Palestine (UK)
Jewish Voice for Labour (UK)
Jewish Voice for Peace (USA)
Jews Against the Occupation „48 (Australien)
Jews for Palestine – Ireland
Jews Say No! (USA)
Jøder for Retfærdig Fred (af 5784) (Dänemark)
Judeobolschewiener*innen (Österreich)
Judeus pela Paz e Justiça (Portugal)
Judies por una Palestina libre (Mexiko)
Jüdische Stimme für Demokratie und Gerechtigkeit in Israel/Palästina (Schweiz)
Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost (Deutschland)
Junts – Associació Catalana de Judeus i Palestins (Spanien)
MARAD, Collectif juif decolonial (Schweiz)
Peace Movement West Austria
Sh’ma Koleinu – Alternative Jewish Voices (Neuseeland)
South African Jews for a Free Palestine
Tsedek! (Frankreich)
Union juive française pour la paix (Frankreich)

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