Stellungnahme des Provisorischen Bundeskomitees von DiEM25-Deutschland zum G20-Gipfel in Hamburg.
“Jeder Mensch hat das Recht, seine Meinung frei zu äußern und sich hierfür friedlich zum Protest zu versammeln. Die Versammlungsfreiheit ist ebenso wie die Meinungsfreiheit ein Grundpfeiler jeder freien und pluralistischen Gesellschaft.“
Das schrieb die Menschenrechtsorganisation Amnesty International letzte Woche auf ihrer Website und bezog sich mit dieser Grundsatzäußerung auf die Vorfälle in Hamburg: Protestcamp-Verbot, generelles Demonstrationsverbot im Stadtzentrum und ein Übernachtungsverbot. Zwar wurden einschlägige Verbote vom Verfassungsgericht aufgehoben, doch das Hamburger Verwaltungsgericht relativierte diese Entscheidungen wieder. Dass die Verwaltungsgerichte der Politik grundlegend näher stehen als das Verfassungsgericht, ist unter Juristen bekannt. Und so geht es bei den Verboten darum, Rückzugs- als auch Offensivorte von „Militanten“ präventiv zu verhindern. Bereits der türkische Ministerpräsident Erdogan hatte die Räumung des Geziparks unter der Prämisse angeordnet, es hätten sich „Terroristen“ und „Gesindel“ unter die Demonstranten gemischt. Wurden diese Äußerungen in hiesigen Talk- und Politshows von führenden Politikern noch stark kritisiert sowie das demokratische Gut der Meinungs- und Versammlungsfreiheit propagiert, sehen sich nun die Initiatoren der Protestcamps einer ähnlichen Rhetorik ausgesetzt. Die Reduzierung des kreativen und vielfältigen G20-Protests auf einige Militante ist eine kalkulierte Vereinheitlichung des Protests. Die Teilnehmerzahlen gehen in die Hundertausende, wobei jeder auf eine eigene Weise zu demonstrieren gedenkt. Gleichzeitig wird die Zahl der gewaltbereiten Demonstranten von der Polizei (!) auf 8000 geschätzt.
Versammlungsfreiheit nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts
Dabei umfasst die Versammlungsfreiheit nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts und der wichtigsten deutschen Verfassungsjuristen nicht bloß übliche Demonstrationen. Auch Mahnwachen, Schweigemärsche, Menschenketten und demonstrative Zeltlager sind grundrechtlich geschützt. Es ist außerdem schlicht falsch, von „Genehmigungen“ oder „Auflagen“ für Versammlungen zu sprechen. Diese Begriffe kommen aus Zeiten des Polizeistaates, als das Grundgesetz noch nicht galt. Politische Versammlungen müssen gerade NICHT von Behörden genehmigt werden, sie SIND erlaubt und müssen lediglich angemeldet werden. Werden andere Grundrechtsgüter gefährdet, dürfen Versammlungen zwar beschränkt werden, im Extremfall sogar bis zum Verbot. Dabei handelt es sich aber um absolute Ausnahmefälle, die penibel grundrechtlich begründet werden müssen. Allgemein gilt: die Verwaltung muss Versammlungen ermöglichen, nicht verhindern! Das verlangen Grundgesetz und Bundesverfassungsgericht eindeutig. Umso absurder ist es, dass Verwaltung, Polizei und die einfachen Gerichte diese Tatsachen und damit geltendes Recht missachten – nur um dann vom Bundesverfassungsgericht über die Grundrechte belehrt zu werden. Hier folgt die rechtliche Würdigung dem politischen Willen, Meinungskundgebungen zu unterdrücken und bewegt sich damit hart an der Grenze zur Rechtsbeugung.
Staaten werden autokratischer
In G20-Ländern ist gerade die „Versicherheitlichung“ jedes politischen Protestes zu einem Merkmal geworden, dass vermeintlich demokratisch verfassten Staaten zunehmend autoritären Charakter verleiht. So wurde kürzlich in Istanbul eine Gay-Pride Parade aufgrund der „Gefährdung für die öffentliche Ordnung und die Sicherheit von Bürgern und Touristen“ verboten. Es ist beinahe schon zynisch von deutschen Behörden, sich liberal und öffentlichkeitswirksam von den Methoden der autoritären Staaten wie Russland, Türkei, China oder den USA abzugrenzen, insgeheim aber dieselbe Logik anzuwenden. Der vielfältige und grundlegend demokratische Protest gegen den G20-Gipfel gewinnt deshalb zusätzliche Legitimität. Die versuchte Verhinderung bestätigt sein Anliegen und damit seine Relevanz. Die Politisierung der Bürokratie erzwingt geradezu den Protest gegen die in der Verantwortung stehenden G20, die obendrein für ihren Gipfel nicht nur Milliarden Steuergelder zwecks Abschottung und Verpflegung aufwenden, sondern den Lebensraum unzähliger Hamburger lahmlegen. Der Gipfel geht einher mit Umsatzeinbußen für im Stadtzentrum arbeitende Mittelständler, Geschäfte müssen geschlossen bleiben, Anwohner können nicht in ihre Wohnungen. Das ist nicht nur dreist, es ist rücksichtslos und selbstermächtigend und steht in keinem Verhältnis zu konstruktiver Regierungsarbeit.
„Festival der Demokratie“
Grundlegend widerspricht das der eigentlichen Intention des Hamburger G20 Gipfels, welcher im Vorfeld als „Festival der Demokratie“ angekündigt wurde. Einem Festival, bei dem sich Hamburg und auch Deutschland als vorbildliche Gastgeber präsentieren wollten. In einer Zeit in der Notstandgesetze und Präsidialverordnungen regelmäßig bürgerliche Grundsätze aushebeln – man denke an den andauernden Ausnahmezustand Frankreichs – und im Zweifel nur noch durch Gerichte gestoppt werden können, bestand die Hoffnung, dass sich Deutschland durch die aktuelle Sicherheitslage nicht einschüchtern lässt und die demokratischen Grundsätze nicht nur achtet, sondern im Fokus der Weltöffentlichkeit noch weiter betonen würde. Stattdessen verfolgen wir nun seit Wochen eine Diskussion, bei der Demonstranten pauschal als Gewalttäter und Randalierer verurteilt werden. Wir verfolgen ein rechtliches Gezerre, bei dem der Hamburger Senat darüber streitet, ob die Versammlungsfreiheit aufgrund einiger zu erwartender Gewaltbereiten eingeschränkt werden sollte. Und wir merken, dass am Ende viel über Demokratie geredet wird, in Wahrheit aber der Hamburger Senat und einige Regierungspolitiker ihre Kritiker unhinterfragt stigmatisieren, sich gar über die Verfassung stellen. „Demokratie lernen“, das viel zitierte Credo der Politiker gilt in aller erster Linie für sie selbst.
Lichtblick in düsteren Zeiten
Es ist ein globaler Trend dem damit auch Deutschland folgt. Darin werden demokratische Prozesse systematisch ausgehebelt; und Macht zentriert. Wer kritisiert, muss mit Repressionen rechnen. Natürlich wissen wir als demokratische Bewegung, dass gelebte Demokratie nicht leicht ist. Dennoch können wir es nicht gutheißen, wenn Politiker die Freiheiten des Demos durch unhinterfragte Pauschalisierung einschränken. Wenn Teile der Gesellschaft ihre Lebensqualität einschränken müssen und andere ihre Rechte nicht wahrnehmen dürfen, damit sich Regierungschefs hinter verschlossenen Türen treffen können, dann kommen dunkle Zeiten nicht erst auf uns zu, sondern sie sind bereits da – von den in Hamburg eingesetzten Kriegsgeräten ganz zu schweigen. Umso wichtiger wird es für uns, den allgemeinen Diskurs anzuregen und weitere Impulse für ein demokratisches Europa zu setzen. Aus diesem Grund möchten wir alle progressiven Demokraten am kommenden Freitag zu unserer Diskussionsrunde zum Thema Constructive Disobedience in der Hamburger Universität einladen. Denn anders als der Hamburger Senat und das deutsche Innenministerium, stellt der Hamburger Universitätspräsident mit dem Uni-Gelände einen geschützten Raum zur Verfügung, in dem jener politische Diskurs geführt werden kann, welcher anderen Aktivisten auf den Hamburger Straßen verweigert wird.
Freitag, 7. Juli, 19.30 Uhr @Hamburger Universität: „Constructive Disobedience! – Resistance in the Age of Surveillance Capitalism“
Livestream des Events: https://www.youtube.com/watch?v=RPFAhhEtl-Q
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