Der Berliner Mietendeckel als Modell für europäische Großstädte?!

Die Wohnkosten sind heute für die meisten Europäer*innen die höchste Ausgabe bei den Lebenshaltungskosten. Die Preise für Wohnen wachsen in den meisten EU-Mitgliedstaaten schneller als die Löhne. 

Der Anstieg der Obdachlosigkeit auf dem gesamten Kontinent zeugt vom Fehlen einer schlüssigen politischen Antwort. 

Die Investitionen in den öffentlichen Wohnungsbau wurden in Europa zwischen 2009 und 2012 massiv zurückgefahren. Im Jahr 2011 gab es bereits 38 Millionen leerstehende Wohnungen in Europa. Allein in Deutschland standen 2017 2,14 Millionen Wohnungen leer. Zur gleichen Zeit hat die Obdachlosigkeit in allen europäischen Ländern (außer in Finnland) zugenommen und erreichte Rekordhöhen auf dem gesamten Kontinent. 

Dazu kommt, dass in Griechenland, Kroatien, Portugal, Malta, Bulgarien, Zypern, Spanien und Italien die Leerstandsraten bei rund 30 Prozent aller Wohnungen liegen. Dies ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass viele Wohnungen als Ferienunterkünfte genutzt werden, die die Mietpreise für die lokale   Bevölkerung in die Höhe treiben. Auch in bundesdeutschen Städte ist der Mangel durch die dauerhaft Vermietung von Wohnungen an Touristen zu spüren.

Fehlende Infrastruktur in ländlichen Regionen führt zur Landflucht.

Zu weiteren Spannungen kommt es in urbanen Ballungsgebieten aufgrund der sinkenden Zahl von Arbeitsplätzen und fehlender digitaler Infrastruktur in ländlichen Regionen. Fehlender öffentlicher Nahverkehr, unregelmäßig verkehrender Bahnverkehr, geschlossene Bahnhöfen in kleineren Gemeinden, sowie fehlende Schulen und Krankenhäuser tragen ihren Teil dazu bei, dass insbesondere junge, gut ausgebildete Menschen in die Großstädte ziehen müssen.    

Aufgrund der exorbitant gestiegenen Wohnkosten und des gesellschaftlichen Drucks von Bürgerinitiativen wie “Deutsche Wohnen & Co enteignen”, die auch von DiEM25 Mitbegründer Yanis Varoufakis bei seinem Wahlkampfbesuch in Berlin im Mai diesen Jahres in Lichterfelde (Foto) unterzeichnet wurde, wurde nun durch den Berliner Senat (R2G) eine deutschlandweit nie dagewesene Gesetzesänderung Regelungen des Gesetzes zur Neuregelung gesetzlicher Vorschriften zur Mietenbegrenzung” (Mietendeckel) eingebracht, die die Mieten in Berlin für fünf Jahre einfrieren soll. Deutlich überhöhte Mieten werden gekappt, bei Wiedervermietung gilt die Vormiete bzw. der entsprechende Wert in der Mietentabelle, sofern die Vormiete darüber liegt.

Das Gesetz sieht neben zusätzlicher Maßnahmen vor allem eine Kombination von Mietenstopp und Mietobergrenzen vor. 

Dies gilt für 1,5 Millionen vor dem Jahr 2014 gebaute Wohnungen. Obergrenzen von maximal 9,80 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter, die sich nach Baujahr und Ausstattung der Wohnung richten soll und die bei Neuvermietungen nicht überschritten werden dürfen, sind geplant. Das Gesetz soll die bislang rasante Preisentwicklung auf dem freien Mietmarkt nicht nur bremsen, es soll die Mieten auch auf ein sozialverträgliches Maß zurückführen, so die Idee dahinter. Demnach dürfen Bestandsmieten nicht mehr als 20 Prozent über den Obergrenzen liegen und Mieter können bei Überschreitung dieser Grenze eine Absenkung fordern.

Kann das heute in Berlin beschlossene Modell der Mietpreisbremse für andere europäische Großstädte als Vorbild dienen? 

Nicht nur in vielen deutschen Großstädten wird genau verfolgt, was in der Berliner Wohnungspolitik dieser Tage passiert. Der Wohnungsmanager der Stadtverwaltung von Barcelona, Javier Buron schreibt uns:

“In Barcelona werden die aktuellen Ereignisse in Berlin mit großem Interesse verfolgt. Die Aussicht auf eine Stadt mit einem zuverlässigen öffentlichen Messsystem für die Mietpreise (Mietspiegel) und dem politischen Willen und der technischen Fähigkeit, die Marktpreissteigerungen zunächst zu begrenzen (Mietpreisbremse) und die Mietpreise für 5 Jahre völlig einzufrieren, ist für katalanische Aktivisten, Gesetzgeber, Medien und öffentliche Manager von höchstem Interesse.

Barcelona verfügt bereits über ein ähnliches System wie den Mietspiegel ( „Index de preus de lloguer de la Generalitat de Catalunya“) aber die lokalen Behörden stehen einem Staatsministerium gegenüber, das eher zögert, nicht in den Markt eingreift und dies den lokalen Behörden auch nicht gestattet. Auch wenn die Mietmärkte in Berlin und Barcelona sehr unterschiedlich sind (weniger öffentliche Bestände), ist die Performance des neuen Berliner Modells für den Kampf um soziale und bezahlbare Miete in Barcelona sehr relevant.

Die Immobilienwirtschaft kritisiert derweil erwartungsgemäß die Pläne, denn durch den Mietendeckel wird ihre Rendite empfindlich sinken. 

Wir sehen in dem aktuellen Vorstoß einen ersten Schritt, bezahlbare Mieten für die breite Masse der Bevölkerung zu sichern. 

Das wichtigste an der Entwicklung in Berlin ist jedoch die politische Auseinandersetzung um einen grundsätzlichen Paradigmenwechsel. 

Denn: Wohnen ist keine Ware, sondern ein Menschenrecht.

Wohnungswirtschaft dient nicht der Profitmaximierung, sondern dem Gemeinwohl. Gemeinnützigkeit ist machbar! 

Eine Wiedereinführung der Wohnungsgemeinnützigkeit (abgeschafft in den 1990er Jahren) muss auf dem Programm einer Wohnungspolitik verbleiben. Grund und Boden muss bei Beibehaltung des Privateigentums in Erbbaurecht überführt werden, damit Bauvorhaben im öffentlichen Interesse reguliert werden können (Beispiele: Wien, Amsterdam). Wir brauchen ein kommunales Planungsrecht, kommunale Flächenpolitik, eine kommunale Regulierung des Wohnungsbestandes, eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit, Wohnungsbau als Infrastruktur-Planung und lokale Bündnisse für bezahlbares Bauen und Wohnen. 

Der Mietendeckel kann nur ein Anfang sein. Der Weg zu einem Paradigmenwechsel erfordert die Überführung von Privateigentum in Gemeineigentum von zunächst großen Immobilienfirmen („Deutsche Wohnen & Co enteignen“) und städtischen Grund und Boden gemäß Art. 15 des deutschen Grundgesetzes (= Rekommunalisierung).

Diese lokalen Maßnahmen müssen hierbei Teil einer sodann europäischen Perspektive sein, wie wir sie im Green New Deal for Europe entworfen haben.

Und übrigens: 3/4 der Miete sind zur Bewirtschaftung nicht notwendig (kostendeckene Miete) – siehe auch (https://mietenwatch.de/leistbarkeit).

Deckeln ist gut, Enteignen ist besser


Die Begrenzung auf eine Laufzeit von 5 Jahren ist aber nicht der einzige Fallstrick der gegenwärtigen Lösung. Die zu erwartenden juristischen, ja sogar verfassungsrechtlichen Auseinandersetzungen drohen das Ziel des „Mietendeckels“ zumindest zu verwässern, wenn nicht sogar substantiell auszuhöhlen. Anläßlich der soeben erfolgten Reform der Grundsteuer wurde erschwerend die Umgestaltung zu einer Bodenwertsteuer versäumt.

Fazit: Sollten die Mieten durch das Gesetz sinken oder zumindest nicht weiter steigen, ist es ein Vorbild für Regierungen in anderen Städten und ein Lichtstreifen am Horizont für Europas Mieter*innen!

Autor*innen: Kai Bergmann, Johannes Fehr, Thomas Kellermann, Claudia Trapp

Picture Credits: „neigbourhood sell out“ by Rasande Tyskar (CC-BY-NC 2.0)

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