DiEM25 zu öffentlichen Gesundheitssystemen in Europa

„Ganz Europa ist überrascht von der Geschwindigkeit, mit der sich das Virus ausbreitet. Wir werden von einer zweiten Welle überwältigt, die härter und tödlicher sein wird als die erste.“

– Emmanuel Macron, 28. Oktober, 2020

Nur, Herr Macron, dass außerhalb Europas nicht jeder von der Pandemie überrascht oder überwältigt wurde!

Von Neuseeland und Kerala in Indien bis hin zu bevölkerungsreicheren asiatischen Ländern wie Südkorea, Japan, Thailand und Vietnam wurde die Ausbreitung von COVID-19 durch starke öffentliche Gesundheitssysteme verhindert, die zahlreiches Testen, Kontaktverfolgung und Quarantäne möglich machten. Verstärkte Maßnahmen eines öffentlichen Gesundheitswesens haben die Pandemie zwar nicht gestoppt, aber – und das ist entscheidend – so weit zurückgedrängt, dass sie beherrschbar ist.

Das Scheitern Europas ist maßgeblich auf die Privatisierung, die Fragmentierung und den Abbau unserer öffentlichen Gesundheitssysteme zurückzuführen.

Neben einem starken öffentlichen Gesundheitssystem war der Schlüssel zum Erfolg eine angemessene wirtschaftliche Unterstützung für diejenigen, die in Quarantäne mussten.

Das falsche Dilemma zwischen der Sorge um die Gesundheit der Menschen und der Schädigung der Wirtschaft ist nun vollständig entlarvt. Die Länder, die durch starke öffentliche Gesundheits- und Sozialsysteme die Pandemie in den Begriff bekamen, waren auch diejenigen, deren Wirtschaft am wenigsten litt. In Europa hat nur Deutschland, das das beste öffentliche Trackingsystem in Europa hat, weniger Todesfälle und einen geringeren wirtschaftlichen Rückgang erlebt. Wir wussten das alles mindestens seit April 2020, wie wiederholte Rundschreiben der Weltgesundheitsorganisation beweisen. Warum also wurde Herr Macron von der zweiten Welle überrascht, während einige der ärmeren und weniger mächtigen Länder der Welt besser abschneiden als die reichsten und mächtigsten Länder der Welt?

Als COVID-19 zuschlug, waren die Urheber der neoliberalen Kampagnen gegen die öffentlichen Gesundheits- und Wohlfahrtssysteme, vor allem in Großbritannien und in den USA, die ersten, die sich auf der Grundlage eines falschen Dilemmas zwischen Gesundheit und Wirtschaft gegen die Abschottung wehrten. Das Ergebnis war, dass sie – und andere Länder, die ihrem Beispiel folgten – in beiderlei Hinsicht weitaus schlechter abschnitten: bei der öffentlichen Gesundheit und beim wirtschaftlichen Schaden.

Der Weg zur Kontrolle von COVID-19 besteht darin, die Pandemie ernst zu nehmen und sie zu besiegen. Was steht dem im Weg?

Europas COVID-19-Antwort ist, wie die der USA, ein Skandal, der die jahrelange Privatisierung unter dem Deckmantel des neoliberalen Dogmas widerspiegelt. Überall in Europa wurden Investitionen in das grundlegende öffentliche Gut der Gesundheit durch eine Sparpolitik mit den tödlichen Folgen einer großen Ungleichheit verhindert.

COVID-19 hat den kalkulierten Raubbau der meisten europäischen Regierungen an den öffentlichen Gesundheitssystemen im Interesse von Unternehmen entlarvt, ihre kalkulierte Untätigkeit, als die Pandemie ausbrach, und die katastrophalen Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen, ihre sozialen Bindungen und ihr Vertrauen in die organisierte Gesellschaft.

COVID-19 hat die sture Loyalität der Regierungen gegenüber Finanziers und Spekulanten offenbart, selbst angesichts von Todesfällen, die durch das öffentliche Gesundheitssystem hätte verhindert werden können. Mit großem Entsetzen beobachten wir, wie sich die Pandemie in eine weitere Gelegenheit für private Investitionen verwandelt, insbesondere die rasante Digitalisierung des öffentlichen Gesundheitswesens durch private Auftragnehmer, die nicht nur die Gesundheitsdaten Europas, sondern auch die digitale Infrastruktur unseres Staates monopolisieren.

Panisch haben die Regierungen zwar vorübergehend riesige Summen ausgegeben, um die Privatwirtschaft zu subventionieren: vom Arbeitsmarkt bis hin zu privaten Eisenbahngesellschaften, Flughäfen und Fluglinien. Aber während sie kein Problem damit haben, den Geldhahn der Zentralbanken anzuzapfen, sind sie weiterhin entschlossen die schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft von einer dauerhaften Unterstützung des öffentlichen Gesundheitssystems auszuschließen.

Verschwendetes Geld

Als die Pandemie unser Leben und die Realwirtschaft zerstörte, wurde ein Tsunami von Geld von den Zentralbanken produziert, angeblich um unsere Gesellschaften zu stützen. Tragischerweise wurde alles an die Ultra-Reichen verschwendet, während Gemeinden, kleine Unternehmen und Arbeiter*innen nicht unterstützt wurden.

Das haben sie getan:

Die Zentralbank (z.B. die EZB, die Bank von England, die Bank von Schweden usw.) stellte einer Geschäftsbank, sagen wir der Deutschen Bank, neue Liquidität zu fast null Prozent Zinsen zur Verfügung. Um davon zu profitieren, musste die Deutsche Bank sie weiterverleihen, allerdings nicht an die „kleinen“ Leute, deren Lebensumstände – und Rückzahlungsfähigkeit – in Gefahr waren. Also verlieh sie es z.B. an Volkswagen, das, von Geld überschwemmt, bereits seine Investitionen in neue Autos einschränkte, weil die Befürchtung bestand, dass die „kleinen Leute“, die von der allgemeinen Sparpolitik betroffen waren, nicht in der Lage sein würden, sie während COVID-19 zu kaufen. Volkswagen nimmt also das Geld der Deutschen Bank (das von der europäischen Zentralbank zur Verfügung gestellt wurde), ohne jemals die Absicht zu haben, es zu investieren. Aber warum nimmt man es dann? Um damit, an der Börse, Volkswagen-Aktien zu kaufen! Und warum? Weil damit der Aktienkurs in die Höhe schießt und damit auch die Boni der Volkswagen-Manager.

Kurz gesagt, der Geldbaum des europäischen Kapitalismus hat Überstunden gemacht, ohne dass auch nur ein Cent seinen Weg in Richtung unserer öffentlichen Gesundheitssysteme oder gar in die Taschen der Menschen gefunden hätte, die es brauchen oder die vorhaben, nützliche Dinge damit zu tun (z.B. in nachhaltige Arbeitsplätze zu investieren).

Was ist mit dem europäischen Konjunkturprogramm?

Kommentator*innen haben den EU-Wiederaufbaufonds in den höchsten Tönen gelobt, darunter auch viele, die vor der Pandemie der europäischen Sparpolitik kritisch gegenüberstanden. Wie DiEM25 von Anfang an gewarnt hat, wird der EU-Konjunkturfonds leider wenig dazu beitragen, dass sich die Europäer*innen von der jahrzehntelangen Euro-Krise oder den Folgen der Pandemie erholen. In der Tat erweist sich der EU-Konjunkturfonds als Teil des Problems, nicht der Lösung. Und warum? Aus zwei Gründen: Seine Größe. Und seine Struktur.

Beginnen wir mit seiner Größe: Trotz der großen Zahlen, die gebündelt werden, ist er makroökonomisch gesehen mickrig. Um genau zu sein, selbst wenn er morgen ausgegeben werden würde, ist seine Größe ein Zehntel dessen, was notwendig wäre, um den makroökonomischen Auswirkungen der wirtschaftlichen Pandemie entgegenzuwirken. Nicht nur das, sondern er ist, gebündelt mit dem EU-Budget, so schwerfällig, dass die Gelder zu langsam und vor allem an diejenigen fließen werden, die sie nicht verdienen (z.B. an große Konzerne, die ihn für Zwecke verwenden, die dem öffentlichen Interesse zuwiderlaufen, anstatt an kleinere Unternehmen, die in nachhaltige Arbeitsplätze investieren).

Und dann ist da noch die Struktur des Fonds: Vereinbart zwischen Regierungen, die Europas Oligarchien repräsentieren, und nicht den Europäer*innen, wird er höchstwahrscheinlich die Befürchtung nordeuropäischer Unionsskeptiker bestätigen, die nicht zu Unrecht behaupten, dass diese Transfers als Gelder enden, die den armen Deutschen und Niederländern genommen werden, um sie griechischen und italienischen Oligarchen zu geben.

Eine europäische Antwort auf die Auswirkungen der Pandemie auf Gesundheit und Wohlstand

Was hätte die EU stattdessen tun sollen?

Der Vorschlag von DiEM25, ein 3-Punkte-Plan, kam am 10. März heraus:

  • 1) Eine EZB-Anleihe in Höhe von 1.000 Milliarden Euro, um die Krise in ganz Europa abzufedern

Der Europäische Rat sollte die Europäische Zentralbank bitten, im Namen der Eurozone eine EZB-Anleihe in Höhe von bis zu 1.000 Milliarden Euro herauszugeben. Wenn die Laufzeit auf 30 Jahre festgelegt würde, würde dies einen Stichtagseffekt erzeugen, so dass die Europäer*innen wüssten, dass wir drei Jahrzehnte Zeit haben um eine demokratische politische Union zu schaffen (wenn wir die Idee ablehnen, dass die EZB in 30 Jahren das Geld druckt, um die Anleihe zurückzuzahlen).

1.000 Milliarden Euro würden dann für zwei Zwecke verwendet werden: Zur Finanzierung einer europäischen Gesundheitsunion und zur Abfederung des pandemiebedingten Schuldenanstiegs der Mitgliedsstaaten, so dass nach 2021 keine neue Austerität mehr nötig wäre.

  • 2) Umsetzung eines echten Green New Deal für Europa durch eine Koalition zwischen der Europäischen Investitionsbank und der EZB

Seriöse Investitionen in die Schaffung einer europäischen nachhaltigen Energieunion würden viele der prekären Arbeitsplätze, die jetzt durch die Pandemie verloren gegangen sind, durch qualitativ hochwertige nachhaltige Arbeitsplätze auf dem ganzen Kontinent ersetzen und dabei das grüne Kapital von Unternehmen aufwerten, die jetzt vor der Insolvenz stehen.

Zu diesem Zweck sollte der Rat der Europäischen Union der Europäischen Investitionsbank grünes Licht für die Ausgabe von Anleihen in Höhe von bis zu 600 Milliarden Euro pro Jahr geben, wobei die EZB die einfache Erklärung abgibt, dass sie dahinter stehen wird – denn das würde sofort bedeuten, dass sie nichts tun muss. (Man beachte, dass dies alles mit den bestehenden Verträgen völlig vereinbar ist, da die Europäische Investitionsbank Anleihen ausgibt und die EZB diese seit März 2015 kauft).

  • 3) Unterstützung jede*r Europäer*in mit einer Direktzahlung

Im vergangenen März hat die Regierung von Hongkong jede*r Einwohner*in 1.250 US-Dollar auf ihr Bankkonto überwiesen. Im Jahr 2009 wurde die australische Regierung das einzige OECD-Land, das keine Rezession hatte, indem sie jedem Haushalt Tausende von Dollar auf dem Bankkonto gutschrieb. Unser Vorschlag war, dass die EZB das Gleiche tun sollte: Jedem Einwohner der Eurozone 2.000 € auf seinem Bankkonto gutschreiben. Die Kosten dafür wären 750 Milliarden Euro gewesen. (Anm.: Die EZB hat diese Summe ohnehin gedruckt, nur dass das Geld über die Geschäftsbanken verschwendet wurde – siehe obiges Beispiel mit der Deutschen Bank und Volkswagen). Und dann noch einmal, wenn die Sperre wiederholt oder verlängert würde. Auf diese Weise wäre die Quarantäne auch für Menschen mit geringen Mitteln zu bewältigen gewesen.

Gesundheit und Wirtschaft würden gleichzeitig in einer Weise profitieren, wie es die bestehenden Oligarchie-Praktiken nicht zulassen. Schließlich würden reiche Europäer*innen (die dieses EZB-Geld nicht brauchten) am Ende des Haushaltsjahres fast den gesamten Betrag mit einem Sondersteuersatz besteuern, was auch den Staatskassen der Mitgliedsstaaten zugutekäme.

DiEM25 ruft fortschrittliche Europäer*innen dazu auf, sich unseren Reihen anzuschließen und eine einfache, rationale und fortschrittliche Politik zu fordern, die die bestehenden öffentlichen Gesundheitssysteme stärkt, eine neue europäische Gesundheitsunion neben einer nachhaltigen Energieunion aufbaut und die europäischen Institutionen und verfügbaren öffentlichen Finanzinstrumente in den Dienst der Menschen und Gemeinschaften stellt.

Nichts davon wird geschehen, ohne dass sich europäische Demokrat*innen transnational organisieren, um der Oligarchie-ohne-Grenzen entgegenzutreten, die unsere Regierungen und die Institutionen der Europäischen Union kontrolliert.

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