Europäische Demokratie: das Erwachen der Macht

An die Initiatorinnen und Initiatoren von DiEM25,
An die Freundinnen und Freunde der Demokratie and Europas und all seine Bürgerinnen und Bürger,

Lieber Yanis, Du hast einen Traum. Und der ist auch unserer.
Uns treibt die Vorstellung eines besonderen Europas an. Eines offenen, transnationalen und souveränen Europas. Einer umfangreichen, aktiven, allgemeinen und inbegriffenen europäischen Demokratie. Doch tagtäglich verfällt der europäische Kontinent stärker in politische und moralische Machtlosigkeit. Angesichts des Aufschwungs des Rechtsextremismus und des plötzlichen Anstiegs von Ausländerhass und Feindseligkeit können wir nicht hinnehmen, dass unser Traum durch „Jeder für sich allein“-Bewegungen und Regierungen, die sich den Interessen weniger beugen, unterwandert wird.
Unser Europa unterscheidet sich. Und zwar insofern, dass es seinen Werten gerecht wird, seine Bürger respektiert und diejenigen willkommen heißt, die Zuflucht suchen. Wir träumen von einem bürgernahen Europa mit geteilter Souveränität, in dem alle Europäer wieder Vertrauen zu ihren nationalen und lokalen Parlamenten fassen und zusammen über ihre gemeinsame Zukunft im Europäischen Parlament entscheiden. Einem Kontinent, der in Vielfalt und Solidarität vereint ist und wo supranationale Institutionen das Gefühl einer gemeinsamen Bestimmung festigen. Ja, wir wollen die Demokratie aus den Dunkelkammern holen, wo sie der Europäische Rat und folglich die Mitgliedsstaaten für sich beschlagnahmen. Überall in Europa und darüber hinaus sehen Grüne „Demokratie als ein Projekt“. Wir stehen für eine demokratische Erneuerung Europas als notwendige Voraussetzung für einen Austritt aus der Krise an, auch wenn das allein nicht ausreicht. Wir sind seit Langem von der Notwendigkeit der europäischen Souveränität und folglich einer europäischen verfassungsgebenden Versammlung überzeugt!
Wir sind nicht naiv. Wir wissen, dass im Namen eines angeblichen Zusammenwachsens Europas Politik betrieben wird, die sowohl die europäischen Bürger als auch die europäische Idee an sich unterjocht. Aber wir sind realistisch. Nichts kann aus Ruinen auferstehen. Hinter uns liegen sechs Jahrzehnte des Friedens, der Verständigung, gemeinsamen Wohlstands und allmählicher Wiedervereinigung eines Kontinents, der einst von andauernden Kriegen und den Machtspielchen der Atomgroßmächte gespalten war. Doch vergesst nicht all diejenigen, die sich jetzt schon für Veränderungen in Europa engagieren. Im Herzen der Institutionen sitzen nicht nur Technokraten und Neoliberale, die nach der Pfeife der Multimillionäre tanzen. Wir haben niemals das politische Europa mit Europapolitik verwechselt.
Manche von uns sind zum Startschuss von DiEM25 in Berlin und zwar genau aus dem Grund, weil wir uns täglich aktiv für Demokratie, Ökologie, Solidarität und Toleranz einsetzen und der Meinung sind, dass soziale, ökonomische, demokratische, moralische sowie Klima- und Energiekrisen die Umsetzung radikal neuer Programme erfordern. Neben einer demokratischen Reform erfordert die notwendige Solidarität unter den Europäern und zwischen den Generationen den Abschied vom Mythos eines endlosen Wachstums und der materialistischen Herrschaft des Konsums. Der Klimawandel verpflichtet uns, dies alles im Großen wie im Kleinen zu überdenken, von Energie bis zu Ernährung, von Schulden bis zu Einwanderung, von Freizügigkeit bis zur Teilhabe am Wohlstand, von Außenpolitik bis zu Handelsstrategien. Es wird Zeit, endlich das 21. Jahrhundert einzuläuten.
Um diese neue Idee gedeihen zu lassen, um sie erstrebenswerter zu machen und wert, sie mit so vielen Menschen wie möglich zu teilen, brauchen wir konkrete Projekte, die aus unseren Kämpfen entstehen, in die Realität eingebettet und ins Feld geführt werden: Grundeinkommen und Gehaltsobergrenzen, lokale und ergänzenden Währungen zum Euro, erneuerbare Energien in der Hand der Bürger, Agrarökologie, Gemeingüter, Genossenschaften, Bildung, Kultur, es gibt in Zukunft viel anzupacken! Und darüber hinaus werden wir uns mit unseren politischen Identitäten auseinandersetzen müssen: die Label von gestern sind nicht mehr gültig. Es ist nicht wichtig, woher wir kommen, sondern wohin wir zusammen gehen wollen.
Ihr seid Europa, wir alle sind Europa, selbst diejenigen, welche die gemütliche Behaglichkeit falscher Gewissheiten der Nationalstaatlichkeit bevorzugen. Es ist wichtig, Ängste und Hirngespinste zu überwinden, unsere Gesellschaften zu transformieren und zusammen ein neues Kapitel der Geschichte einzuleiten. Europa ist die Zukunft unserer gemeinschaftlichen und pluralistischen Souveränität, eines gerechten und nachhaltigen Wohlstandes.
Liebe Freundinnen und Freunde der Demokratie, liebe Freundinnen und Freunde Europas, liebe Initiatorinnen und Initiatoren von DiEM25, ihr habt recht, wenn ihr denkt, dass wir etwas verändern können. Mit unseren geballten Unterschieden und Gemeinsamkeiten, lasst es uns versuchen!
Lang lebe die Demokratie. Lang lebe Europa. Lang lebe die europäische Demokratie.
Unterzeichnende
Florent Marcellesi (Wortführer, im Europäischen Parlament, Spanien),
Julien Bayou (Wortführer, Europe Écologie-Les Verts, Frankreich),
Karima Delli (MEP, Frankreich),
Michel Reimon (MEP, Österreich),
Rui Tavares (Ex-MEP, Portugal),
Vedran Horvat (Kroatien),
Adam Ostolski (Wortführer, Polish Green Party),
Laura Carlier (Wortführerin, FYEG, Belgien),
Teo Comet (Wortführer, FYEG, Finnland),
Zakia Khattabi and Patrick Dupriez (gemeinsame Wortführende, Ecolo, Belgien)

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