Gegen die Reform des EU-Urheberrechts

Meine lieben Mit-Europäer,
vom Geburtsort der Demokratie spreche ich zu Euch über eines der drängendsten Probleme dieser Zeit: ein Schlüsselgefecht, bei dem es um die Verteidigung unserer Demokratien geht. Vor einer Woche stimmte das europäische Parlament für ein neues Gesetz, das unser aller Online-Freiheit gefährdet: die Reform des EU-Urheberrechts.
Diese neue „Richtlinie“, wie diese Art EU-Gesetz genannt wird, trägt in keiner Weise zu jener Modernisierung bei, die unseren veralteten Urheberrechte bitter nötig hätten. Das Ziel aller sinnvollen Urheberrechtsgesetze sollte es sein, die Rechte von Kreativen, Verlagen oder Produzenten und Nutzern fair auszubalancieren. Durch die Freiheit und Inspiration, die Internetverbindungen bieten, haben wir einen unfassbar aufregenden Zuwachs an Kreativität erlebt: Nie zuvor konnten so viele Menschen Bücher veröffentlichen, Musik schaffen und ihre kreativen Instinkte ausleben.
Das neue Urheberrechtsgesetz macht alle Plattformen, die älter als drei Jahre sind, für jeden Verstoß eines Nutzers gegen dieses Gesetz haftbar. In der Offline-Welt wäre das, als werde ein Autobahnbetreiber für jeden Raser in Haftung genommen. Die einzige Weise, auf die eine Online-Plattform diesem Haftungsrisiko begegnen kann, ist, jeden Text, jedes Bild und jedes Video durch Filter zu kontrollieren, noch bevor sie hochgeladen werden. Solche Upload-Filter-Technologien kennen wir bisher nur von autoritären Regimen wie China. Es ist ein lauter Schreckschuss, dass so viele europäischen Politiker versuchen, diese Upload-Filter verpflichtend einzuführen, um „Urheberrechtsverletzungen“ zu vermeiden. Im Dienste großer Player, die auf unserem Kontinent operieren, zwingen sie den Bürgern eine Form der Zensur auf, die in unseren Demokratien nichts verloren hat.

Viele haben uns davor gewarnt. Bezugnehmend auf dieses Gesetz warnte der UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit, David Kaye, das europäische Parlament vor einem „Fehler- und Zensurrisiko“. Der Gründer des World Wide Web, Tim Berners-Lee, und Vint Cerf, einer der Internet-Erfinder, schlossen sich ihm an. Alle Technologie-Fachleute sehen die Gefahren dieses Vorschlags. Doch unsere Politiker tun alles, damit die Interessen der Nutzer nicht mit jenen ihrer reichen und mächtigen Freunde kollidieren.
Es gibt noch eine letzte Chance, dieses gefährliche Zensurinstrument in Europa zu verhindern. Und deshalb wende ich mich nun an Euch. Am 15. April muss der Europarat der Urheberrechtsreform zustimmen. Deutschland kann allein den Ausschlag dafür geben, dass dieses Gesetz nicht verabschiedet wird. Deshalb fordere ich Sie, Frau Merkel, dazu auf, den Menschen zuzuhören und ihren Landwirtschaftsminister (wie verquer ist die EU, dass die Abstimmung über solch ein technologiespezifisches Thema von einem Landwirtschaftsminister abhängt?) aufzufordern, unser Grundrecht auf Meinungsfreiheit zu schützen.
Die große Online-Kreativität kann für uns politisch aktive Menschen manchmal eine schwierig zu handhabende Freiheit sein, wie mich Herr Böhmermann 2015 mit seinem Mittelfinger-Trick lehrte. Aber sie ist wichtig. Danke für diese Lektion, Jan.
Frau Merkel, wir haben unsere Differenzen, doch diese Frage ist zu wichtig, als dass sie durch Partei- oder Lobbyinteressen entschieden werden darf. Bitte, Frau Merkel, stehen Sie zu den Vereinbarungen im Koalitionsvertrag und stoppen Sie die Verabschiedung dieses gefährlichen Zensurgesetzes.

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