Gelbwesten – Ein Kommentar des Franzöisischen NC´s

Die Mitglieder unseres Französischen Nationalkollektives (NC) haben einen Kommentar zu den Gelbwesten verfasst. Wir haben den Artikel für euch ins deutsche übersetzt.
 
Viele Mitglieder der Bewegung in Frankreich und im Ausland haben das französische National Kollektiv nach unserer Position zur Bewegung „Gilets Jaunes“ (gelbe Westen) gefragt, besonders nach den Gewaltszenen auf der Champs Elysees, die auf der ganzen Welt zu sehen waren.
Wir scheuen uns nicht, es zu sagen: Wir waren verblüfft und zwiegespalten, ja sogar verwirrt über diese vielschichtige Bewegung, die sich innerhalb von zwei Wochen so stark entwickelt hat. Außerdem teilte ein großer Teil der französischen Linken unsere Verwirrung.
Der erste Aufruf zur Demonstration in gelben Westen am 17. November begann als Protest gegen die Anhebung der Dieselsteuer, angeblich zur „Finanzierung des ökologischen Wandels“. Wir lassen uns nicht vom Blendwerk dieser Steuer täuschen, die von einer Regierung geschaffen wurde, die die Vermögenssteuer abgeschafft hat und die auch mehrere antiökologische Maßnahmen vorantreibt, wie z.B. die Eröffnung einer Goldmine in Französisch-Guyana, trotz des Widerstands der lokalen Bevölkerung. Man muss immer daran denken, dass die geplante Ökosteuer hauptsächlich von den Haushalten und nicht von großen, umweltbelastenden Unternehmen bezahlt wird.
Damals waren die meisten von uns jedoch nicht geneigt, sich einer Veranstaltung anzuschließen, die vor allem von rechtsextremen und souveränen Bewegungen und Gruppen, sowie von einer ganzen Reihe rechter und liberaler Redakteure, massiv unterstützt wird. Der Anti-Steuer-Slogan, der behauptete, „La France du bas“ (die Unterdrückten) zu verteidigen, wurde damals nicht von Lohnforderungen oder spezifischen Sozialmaßnahmen begleitet. Darüber hinaus hat uns die positive Berichterstattung in den Medien, obwohl die Bewegung nicht mehr Menschen – sondern tatsächlich weniger – mobilisierte als die Demonstrationen gegen Macrons Arbeitsrecht und Verordnungen in der Vergangenheit, dazu veranlasst, diesem Phänomen mit seinen Parolen gegen die Besteuerung und damit gegen die öffentlichen Ausgaben und die Umverteilung zu misstrauen.
Allerdings hat uns die populäre Dimension der Bewegung, die effektiv von Arbeitnehmern getragen wird, die oft durch die Austeritätspolitik wirtschaftlich erdrosselt werden, herausgefordert. Über die Anti-Steuerrevolte hinaus zeigt sich ein Frankreich, dass darum kämpft, über die Runden zu kommen. Und wer kann schon einschätzen, ob die von ihm gezahlten Steuern wirklich  verhindern, dass die öffentlichen Dienstleistungen nicht weiter reduziert werden: Das öffentliche Gesundheitswesen befindet sich in der Krise, der Abbau von Arbeitsplätzen im Bildungswesen wurde angekündigt, und die ländlichen Gebiete verlieren ihre öffentlichen Dienstleistungen.
Darüber hinaus zeigte die Bewegung von Anfang an eine sehr große Vielfalt von Akteuren an verschiedenen Orten: Die extreme Rechte war im Süden und bei den Pariser Demonstrationen sehr präsent, aber in Saint Nazaire äußerte sie zum Beispiel gewerkschaftliche und progressive Forderungen.
In den letzten Wochen konnten alle die Ausdehnung der Bewegung und ihre aufrührerische Dimension miterleben, mit Gewalt, die von Polizeigewalt beantwortet wurde (an die wir bei Demonstrationen in Frankreich gewöhnt sind). Ursprünglich soziologisch besonders geprägt von der unteren Mittelschicht, die arbeitet, aber Schwierigkeiten hat, ihre Rechnungen zu bezahlen, hat sich die Bewegung auf beschäftigungslose Arbeiter und Gymnasiasten ausgeweitet. Die Anti-Steuerrevolte hat sich zu einer viel breiteren Bewegung von Menschen entwickelt, die nicht noch mehr ertragen können, und die Liste ihrer Forderungen ist vielfältig und wächst. Viele Forderungen befassen sich mit Gerechtigkeit und Gleichheit: dazu gehört die Forderung nach Steuergerechtigkeit, einer Erhöhung des Mindestlohns, einer progressivere Einkommenssteuern, einem Ende der Sparpolitik, ein maximal Gehalt von 15000 Euro und das Ende der Schließung öffentlicher Dienste. Andere Forderungen sind für eine progressive Bewegung viel problematischer, wie z.B.  die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber und die Erhöhung der Budgets von Polizei und Armee. Dazu kommen völlig willkürliche  Forderungen, welche auf die Dezentralisierung der Bewegung  zurückgeführt werden kann, die aus selbsternannten Anführerin besteht, die immer wieder angefochten werden. Wobei die Listen der Führungspersönlichkeiten je nach Quelle variieret. Es ist außerdem amüsant festzustellen, dass sich die Sprache der rechten Redakteure, die die Proteste bisher unterstützt haben, stark verändert hat, seit die Bewegung begonnen hat, soziale und politische Forderungen zu stellen, und ihre gewalttätigen Elemente Luxusboutiquen angreifen.
Welche politischen Möglichkeiten gibt es? Im Moment vereint eine Schlüsselrichtung und ein Schlüsselwort diese ungleiche Bewegung: die Ablehnung der Macron Regierung: Die gelben Westen fordern seinen Rücktritt (ebenso wie die Auflösung der Nationalversammlung). In erster Linie ist dies eine Ablehnung seiner Politik und auch der Person Macrons selbst, die zu Recht als Sinnbild für Klassenverachtung angesehen wird. Es muss gesagt werden, dass er und seine Regierung eine unverschämte provokante Sprache gegen „Menschen, die nichts sind“, oder gegen „Arbeitslose, die nur die Straße überqueren müssen“, um einen Job zu finden, verwendet haben.
Dieser Hass ist verbunden mit einer massiven Ablehnung politischer Bewegungen.
Die extreme Rechte und die Souveränitätsbewegung „Debout la France“ von Dupont Aignan sind sehr bestrebt, die Bewegung zu kooptieren, (ebenso la france insoumise), sie werden meist abgelehnt. Die jüngste Demonstration markierte auch einen Wendepunkt, bei dem rechtsextreme Figuren aus den Demonstrationen geworfen wurden. Auf der anderen Seite kommen mehrere der selbsternannten Führer von der „Rassemblement National“ von Marine Le Pen oder befürworten Lösungen im Zusammenhang mit dem Faschismus, wie die provisorische Regierung eines Generals mit Bezug zur extremen Rechten.
Aber wir sehen auch eine starke Nachfrage nach Bürgerversammlungen und partizipativer Demokratie. Die heutige Bewegung ist national und teilweise nationalistisch. Es wäre sehr schwierig, mit ihnen über die Reform Europas zu sprechen. Dennoch ist es eine Herausforderung für unsere Bewegung, nicht nur für die Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit und Besteuerung, die wir teilen, sondern auch für die Fragen der territorialen Ungleichheit, die auch eine der Säulen unseres Programms sein sollten und ganz Europa und die Menschen darüber hinaus betreffen: Es war ein wichtiges Thema im Zusammenhang mit dem Brexit, dem Widerstand gegen London und dem deindustrialisierten Norden, sowie bei der Wahl von Trump.
Die Themen nehmen in jedem Land einen anderen und einzigartigen Aspekt ein, aber wir glauben, dass DiEM25 auf europäischer Ebene arbeiten muss, und das viele unserer Säulen und Inhalte aus dem European Spring mit den Zielen solcher Bewegungen übereinstimmen:  dazu gehören: sozial-justizorientierte öffentliche Dienste, ökologischer Wandel und Abbau von Bildungs- und kulturellen Ungleichheiten. Wir dürfen trotz der Schnittmengen aber nicht vergessen uns einem reaktionären, oft von Rassismus geprägten Diskurs entgegenzustellen. Und dem Bild eines „peripheren Frankreichs (angeblich weiß)“, der „Stadtbewohnern“ die zu viel für die multikulturellen „Vororte“ getan haben wiedersprechen.  Und bekräftigen, dass unsere Solidarität nicht an den Grenzen endet.
Diese Bewegung ist auch eine Gelegenheit, unseren Diskurs über den ökologischen Wandel zu vertiefen, der nicht auf Kosten der Arbeiter*innen und unserer Lebensweise erfolgen darf. Frankreich ist Vorkämpfer Europas für die Urbanisierung und die Errichtung von Einkaufszentren am Stadtrand. Seit Jahrzehnten fordern Politiker und Werbetreibende die Franzosen auf, ein eigenes Haus zu besitzen, und jetzt werden sie von Hypotheken erstickt und sind um mobil zu sein auf das Auto angewiesen. Wenn wir über ökologischen Wandel sprechen, dürfen wir die Raumplanung und die Mobilität nicht vergessen.
Am 8. Dezember wird es in Frankreich, wie überall sonst auch, einen Klimamarsch geben, an dem auch DiEM25 beteiligt ist. Es gab Aufrufe, dass die Gelben Westen beitreten sollten. Dies kann eine Gelegenheit sein, eine Diskussion zu beginnen. Unterdessen hat die Bewegung in Frankreich eine breite Debatte eröffnet. Wir unterstützen die Exzesse nicht, wir verurteilen die Versuche der Kooptierung, aber wir können die Bewegung nicht ignorieren, und vor allem können wir nicht den sozialen Zorn ignorieren, den sie gegenüber Macrons zunehmend Sparpolitik zeigt, die uns an Thatchers-Reformpolitik und die Hartz4 Gesetze erinnert.
 

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