Israel-Palästina: Wir setzen unsere Menschlichkeit aufs Spiel

Ich setze mich seit Tagen immer wieder zum Schreiben hin und weiß nicht, wo ich anfangen soll. Das liegt teils daran, dass ich schlichtweg sprachlos bin ob des Grauens, das ich in Israel-Palästina und in anderer Form auch hier in Deutschland sehe. Hauptsächlich allerdings treibt mich die Frage um, wie ich als Deutsche (ohne jüdische oder palästinensische Wurzeln) deutlich meine tiefe Verstörtheit zum Ausdruck bringen kann. Ich bin insofern direkter persönlich betroffen als viele andere hier, als dass ich durch Heirat eine palästinensische Familie habe und viele Jahre in Israel lebte. Deshalb will ich meiner Sprachlosigkeit ein Ende setzen.

Für den Moment müssen wir alles daransetzen, dass Israel die vernichtende Gewalt gegen die Menschen in Gaza sofort beendet. Die Vorstellung, dass die Forderung nach einem Waffenstillstand Israels Verteidigungsrecht einschränke, ist grenzenlos zynisch.

Anschließend kommen wir in Deutschland nicht umhin, uns der Wirklichkeit zu stellen, dass Israel über Jahrzehnte ein System der Apartheid gegen die Palästinenser:innen errichtet hat und dies nicht nur durch repressive Politik, sondern auch mit militärischer Gewalt extremen Ausmaßes durchsetzt. Dazu gibt es seit einiger Zeit umfassende Berichte und rechtliche Analysen von international anerkannten Menschenrechtsorganisationen sowie offiziellen Stellen der Vereinten Nationen (Amnestiy International, Human Rights Watch, B’Tselem, UN, Al-Haq und Koalition palästinensischer Zivilgesellschaft), die in ihrer Vielfalt nicht auf Parteilichkeit oder mangelnde Themenkompetenz zurückgeführt werden können.

Auch wenn es mich verzweifelt, verstehe ich die Gründe, warum eine solche Einsicht ein scheinbar unlösbares Dilemma für die deutsche Politik darstellt. Das Existenzrecht Israels und die daraus abgeleitete bedingungslose Solidarität mit dem Staat sind Teil der deutschen Staatsräson, und Apartheid wird im internationalen Recht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft. Aufgrund seiner Geschichte hat Deutschland eine besondere Rolle, und deshalb ist es unabdingbar, dass wir uns als Gesellschaft damit auseinandersetzen, was das für die Zukunft bedeutet. In welcher Form kann Deutschland am besten seiner Verantwortung für ein „niemals wieder“ gerecht werden, sowohl in der Außen- als auch der Innenpolitik? Im Moment sehe ich nur, dass es so, wie es ist, nicht geht, und das können wir uns nicht länger leisten, auch um unserer selbst willen.

Wenn die deutsche Politik weiterhin ihre Augen davor verschließt, dann machen wir uns mitschuldig. Wenn durch Verbote von Solidaritätskundgebungen mit Gaza und des Zeigens von palästinensischer Identität die Unterdrückungserfahrung hier in Deutschland wiederholt wird, dann ist das demütigend und verantwortungslos. Ebenso ist es verantwortungslos, wenn die Leitmedien durch feindselige (damit meine ich ausdrücklich nicht kritische) Berichterstattung über hiesige palästinensische, muslimische und arabische Gemeinden die Angst von Jüd:innen in Deutschland zusätzlich schüren. Insbesondere, da die bedingungslose Solidarität mit Israel meines Erachtens auch ihnen die Selbstbestimmung über ihre Narrative aus der Hand nimmt. Jüd:innen, die sich nicht mit Israel und/oder seiner Politik identifizieren, werden ebenfalls in ihren Freiheitsrechten eingeschränkt und bleiben in der öffentlichen Debatte unsichtbar.

Wir erleben gerade, dass es einseitiger Medieninhalte, tiefgreifender Beschränkungen der Meinungsfreiheit und moralischer Ächtung bedarf, um die umfassende Unterstützung Israels einschließlich seiner eklatanten Kriegsverbrechen zu rechtfertigen bzw. aufrechtzuerhalten. Damit werden die Gesprächsräume immer kleiner, um in der Öffentlichkeit, auch in Schulen, sinnvoll über grundlegende gesellschaftliche Themen wie Antisemitismus und unterschiedliche Geschichtserfahrungen miteinander reden zu können.

Das betrifft uns alle. In einer Demokratie können abweichende Meinungen nicht systematisch ausgeblendet werden, sonst läuft das politische System Gefahr, ein anderes zu werden. Und wenn wir zu Gaza schweigen, setzen wir unsere Menschlichkeit aufs Spiel.

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