Kein Traum? Die Vision eines nachhaltigen Europas im Jahr 2035

Ich öffne meine Augen. Es ist der 9. Mai 2035. Noch immer lebe ich in meiner 1,5-Zimmer-Erdgeschosswohnung in Magdeburg-Buckau und bin zufriedener denn je. Denn vieles ist anders als damals, 2021.

Ich schließe meine Augen wieder und lausche durch das gekippte Fenster hinaus in die Welt und ich höre sie atmen. Ich höre: „Guten Morgen, wie geht’s Ihnen heute?“ Ich höre das Lachen der Kinder in der Kita nebenan, ich höre Hundegebell und ein beschwingtes „Günaydin“. Die Welt vibriert vor Lebendigkeit.

Während ich meine Augen wieder öffne und aufstehe, denke ich mir: Gut, dass wir ein Jahrzehnt zuvor so mutig waren und „ja“ gesagt haben zum „Green New Deal for Europe”. Und ich bin immer noch erstaunt, wenn ich mich an all das Unverständnis und die Widerstände gegen diesen großartigen Transitionsplan erinnere, der sich in Ansatz und Zielrichtung stark am erfolgreichen „New Deal“ des Präsidenten Roosevelt in den USA der 1930er Jahre orientiert.

Heute, nach der Umsetzung des „Green New Deal for Europe” (GNDE), teilen sich in Ballungsräumen 5000 Menschen 100 Elektroautos, jeder hat ein Nutzungskontingent. Nutzt jemand ein Fahrzeug überdurchschnittlich, kann er relevante Ressourcen-Kontingente wie „Wasser“ mit Fußgängern oder Radfahrern über eine Quartiers-App tauschen.

Mein Blick fällt auf die Uhr und oh Schreck, jetzt muss ich aber los zur Arbeit, mit den Öffentlichen versteht sich. Genau wie ich hat damals einfach jeder mitgemacht und ist umgestiegen, so fand Verkehr plötzlich – einfach so – weitgehend als ÖPNV statt. Es wurden echte Vernetzungen, auch über Kreis- und Landesgrenzen hinaus, geschaffen. Die Umstellung der Autoindustrie auf Bus- und Bahnproduktion war ein Meilenstein der sozio-ökologischen Wende hin zur klimaneutralen Mobilität, denn Flugzeuge wurden in Europa fast nicht mehr eingesetzt, da das euro-asiatische Zugsystem mit elektrifizierten Hochgeschwindigkeitszügen ausgestattet wurde.

Auf dem Weg zum Bus treffe ich unsere Quartiers-Beauftragte, Dora. Die ist so etwas wie eine Hausmeisterin; sie kümmert sich aber mehr um die Gemeinschaft und ihre Ressourcen als um die Gebäude. Dora ist das Management-Mind unserer Nachbarschaft, von der sie auch finanziert wird. Gehe ich z.B. einkaufen, erhalte ich einen digitalen Kassenbon – “217 Gramm PPE – Rückkaufangebot des Marktes: 0,048 €” – den leite ich an unsere bereits erwähnte Quartiers-App und somit an Dora weiter. Sie handelt mit unseren Ressourcen, z.B. mit den Abfällen, Solarstromüberschüssen oder mit nicht verbrauchten Wasserkontingenten und sie nimmt Päckchen entgegen, macht Besorgungen für die Alten, unterstützt bei Behördenkram und weiß auch immer, wer als Notfall-Babysitter angerufen werden kann. Sie ist schlicht die „gute Seele“. So schafft allein unser Quartier fünf Gemeinwohl fördernde Arbeitsplätze und damit zufriedene, achtsame Nachbarn.

Gegen 09:00 Uhr komme ich im “Reisebüro” an. Es herrscht geschäftiges Treiben. Früher war ich selbstständige Tourismusfachkraft. Das einzige, was hier noch auf Reisen geht, sind unsere Taschen und Behälter aus recyceltem Plastik, deren Herstellung und Logistik ich heute hier für ein nachhaltiges Start-up koordiniere und für das ich ca. 25 Stunden die Woche arbeite. Denn nachdem Fern- und Flugreisen oder Kreuzfahrten bezüglich ihrer Umweltkosten an den CO2-Preis gekoppelt wurden, bröckelten auch die Geschäftsmodelle der Tourismusgiganten. So waren ich als Dienstleisterin und viele Andere genötigt, umzudenken, und jetzt bin ich persönlich sehr glücklich, endlich etwas Sinnvolles zu tun.

Heute, im Jahre 2035, sind je nach Konjunktur immer ausreichend Stellen über das Arbeitsplatzgarantie-Gesetz sicher finanziert. Menschen fühlen sich nicht mehr bedroht durch Hartz IV, prekäre Beschäftigungsverhältnisse oder gar durch die Notwendigkeit um eine Aufstockung der Bezüge bitten zu müssen, obwohl sie Arbeit haben. Es gibt wirklich nur noch freiwillige Arbeitslosigkeit.

Zur Mittagspause treffe ich mich mit einem Freund zum Essen in einer genossenschaftlich betriebenen Stadtteil-Kantine. Mein Freund war als Zentralbanker Mitte der 20er Jahre dabei, als die EZB reformiert wurde. Ich erinnere mich, wie schwer es ihm und seinen Kollegen fiel, sich der nun tatsächlichen demokratischen Kontrolle durch das Europäische Parlament zu unterwerfen. Aber die notwendige Fokussierung auf europaweite Vollbeschäftigung neben dem bisher allein verfolgten Ziel der Geldwertstabilität, die Aufgabe der unsinnigen “Schuldenbremse” und die Aussicht, dass es wirklich funktionieren wird, veranlassten auch ihn zum Mitmachen. Zum Abschied lädt er mich ein, abends zu einem gemütlichen Sit-In mit Freunden dazuzukommen und ich willige ein.

Zurück im “Reisebüro”, das nur noch so heißt, sind nach erledigtem Start-Up-Tagesgeschäft jetzt Menschen eines Kulturkollektivs hier und nutzen die Räumlichkeiten. Ich bin normalerweise nachmittags nicht hier; nur, weil ich mich ja später noch treffen will, mache ich die ToDo-Liste für die Frühschicht am Arbeitsplatz, sonst erledige ich sowas aus dem Homeoffice.

Gesichert durch die Arbeitsplatzgarantie in Ergänzung zum Dividendenmodell des GNDE konnten sich florierende Wirtschaftszweige in vielen Gemeinwohl orientierten Bereichen wie Natur- und Umweltschutz, Bildung, Ausbildung, Pflege oder Kunst etablieren. Die Menschen wurden ermutigt, ihre Ideen in die Tat umzusetzen. Sie ergriffen die Chance zu tun, wozu sie Lust hatten.

Nach der Arbeit schlendere ich durch den Park nach Hause und komme an einer Ausstellung vorbei, die verdeutlicht, in welchen Bereichen sich spürbare Verbesserungen für uns in den letzten lediglich 11 Jahren eingestellt haben.

Menschen wohnen heute meist in von kommunalen oder genossenschaftlichen Trägern bewirtschafteten Gebäuden. Gesunde Baustoffe sind die Norm geworden. Die Insekten- und Vogelwelt hat sich dank maximaler Begrünung erholt, Kinder spielen da, wo früher nur Platz für Autos reserviert war und sie wissen, wie wichtig eine intakte Umwelt ist.

Menschen haben heute Zeit, sich um ihre Gärten zu kümmern und sich mit Nachbarn und Freunden zu treffen. Längst hat sich die wöchentliche Arbeitszeit auf 20 bis 30 Stunden reduziert, weil stetiges Wachstum der Wirtschaft kein Ziel mehr ist; stattdessen geht es den Menschen nun um echte Werte und Möglichkeiten. Nicht Ersparnisse anzuhäufen war das Ziel, sondern die Gelder ins Gemeinwohl der Quartiere fließen zu lassen. So wird Menschen im Alter die Sicherheit gegeben, stets eine altersgerechte Wohnung zu finden, genau wie Familien bei Zuwachs sich ebenfalls auf die kommunale Wohnberatung verlassen können. Und das ohne den Kiez verlassen zu müssen! Keine Gentrifizierung, kein Schulwechsel, kein neues soziales Umfeld, das geschaffen werden muss.

Sit-In: Ich muss schmunzeln. “Back to the 70’s” denke ich mir auf dem Weg. Angekommen auf einem blühenden Grünstreifen einer ehemaligen Stadtautobahn sprudeln, angeregt durch das zehnjährige Jubiläum des Einläutens der sozial-ökologischen Wende in Europa, die Themen nur so.

2024 wurde bei den Europawahlen ein breites paneuropäisches sozial-ökologisches Bündnis gewählt, auf dessen Initiative der “Green Deal” der EU-Kommission zum GNDE weiterentwickelt wurde. Unbedingtes Wachstum als Ziel aufzugeben, war der Brückenschlag zur Nachhaltigkeit. Die in der Sozial- und Klimapolitik unter Einbeziehung eines neuen Gerechtigkeitsdenkens gesetzten Akzente stützten sich u.a. auf den gleichwertigen Anspruch aller Menschen auf die Nutzung der in den “Planetaren Grenzen” beschriebenen, noch nutzbaren Ressourcen. Die ersten und produktivsten Arbeitsgruppen bildeten sich zum Welthandel, zum internationalen Strafrecht und zu Ökozidbeurteilung. Andere Schwerpunkte waren die vermehrte Zusammenarbeit mit anderen Ländern, die den im GNDE beschriebenen Weg einschlugen. So konnten auch noch zögerliche Staaten davon überzeugt werden, dem Vorbild zu folgen.

Es wurden massive Investitionen in die Anpassung an den Klimawandel und in die Reduzierung des Energiebedarfs sowie dessen vollständige Deckung aus erneuerbaren Energien getätigt. Diese Maßnahmen haben die weitreichende sozial-ökologische Transformation begleitet und beschleunigt. Statt dampfender Kühltürme gewöhnten sich die Menschen an Windräder auf ihren Hügeln, von denen ihre Kommunen jetzt finanziell profitieren, Photovoltaikanlagen sind auf ihren Dächern und sie freuen sich über zusätzlichen Schall- und Sichtschutz. Städte und Dörfer ergrünten, blühende Flächen für Fußgänger, Bienen und Radfahrer wurden geschaffen und Straßen wurden zu multifunktional nutzbarem Raum.

Um den GNDE als Gesamtkonzept umzusetzen, mussten auf unterschiedlichsten Ebenen Neuerungen eingeführt werden, sollten nicht einzelne Bereiche ausgegrenzt werden. Dem Gedanken der Nachhaltigkeit folgend wurden Entscheidungen immer unter Abwägung ökologischer-, ökonomischer- und sozialer Faktoren im Hinblick auf Mensch und Natur von demokratisch gewählten Bürger*innenversammlungen beschlossen.

Als ich durch die helle Buckauer Mainacht nach Hause laufe stelle ich fest, wie klug es damals war, die bestehende EU-Gesetzgebung zu nutzen, einfach sofort anzufangen und den Politik-Vorschlägen aus dem Green New Deal für Europa zu folgen. Beim Einschlafen denke ich noch: “Ja, WIR gehen in die richtige Richtung!”

Text von Christine Madelung und Doretta Neumann aus dem deutschen Team der Green New Deal für Europa Kampagne.

Die hier ausgedrückten Ansichten und Meinungen entsprechen nicht notwendigerweise der offiziellen Politik oder den Positionen von DiEM25.

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