Laut gegen rechts

Am 10. Januar 2024 deckte Correctiv ein geheimes Treffen hochrangiger AfD-Politiker und finanzstarker Unternehmer auf, auf dem mutmaßlich massenhafte Deportationen geplant wurden. In anderen Worten: Es wurde aufgedeckt, dass die altbekannten Faschisten tatsächlich Faschisten sind.

Seitdem herrscht in der Bundesrepublik Aufruhr. Spontan haben sich im Laufe der nun fast zwei Wochen mehr und mehr Menschen zu Demonstrationen zusammengefunden, deren bisheriger Höhepunkt das Wochenende vom 20./21. Januar mit (laut Veranstaltern) mehr als einer Million Demonstranten war. Mit dabei: Olaf Scholz und Annalena Baerbock.

Mit dieser Art der Einmischung in diesem nun zutiefst merkwürdig erscheinenden Protest sind diese Politiker mitnichten allein: Politiker aller Couleur überhäufen die Demonstranten regelrecht mit Dank. Doch Dank wofür genau? Was erwarten die Politiker von den Demonstrationen?

Sehen wir uns die Politiker einmal näher an. Da wären Frank-Walter Steinmeier, Friedrich Merz, Markus Söder und viele mehr. Was haben all diese Politiker gemeinsam? Ganz einfach. Die meisten von ihnen gehören Parteien an, die in den letzten 20 Jahren immer wieder mitregiert haben und somit die Lage – und spiegelbildlich dazu die Stimmung – im Land mit zu verantworten haben.

Wofür die Politiker den Demonstranten also danken, ist, dass die Demonstranten ihnen politisch den Allerwertesten retten.

Oder zumindest hoffen die Politiker das. Zur Zeit herrscht eine gewisse Stimmung für ein Verbot der AfD. Damit würde die Bundesrepublik einen Sonderweg beschreiten, während weite Teile der westlichen Welt – aber auch einzelne Länder des globalen Südens wie Indien und Argentinien – immer weiter nach rechts driften. Gelöst wäre das Problem damit aber nicht. Allein schon der Umstand, dass der Faschismus international auf dem Vormarsch ist, sollte jedem zu denken geben, der diese naive Hoffnung hegt: das Problem wäre aufgeschoben, nicht aufgehoben.

Was also genau erhoffen sich die Politiker von den Demonstranten? Auf welche Weise sollen die Demonstranten konkret der AfD den Garaus machen? In welcher Weise sollen sie die Probleme lösen, die die Politiker selbst verursacht haben?

Das Rätsel löst sich auf, wenn man die Situation der Bundesrepublik unmittelbar vor den Massenprotesten betrachtet. Bis dahin nämlich hat ein ganz anderer Protest Schlagzeilen gemacht: der Bauernprotest, der sich unter dem ganzen Trubel derweil internationalisiert hat und zeitweise die Ampel ganz schon in Bedrängnis brachte. Die Bauernproteste wiederum entzündeten sich an Kürzungen bei Dieselsubventionen, die wiederum auf ein Urteil zur Schuldenbremse zurückzuführen waren – einer Eigenheit des deutschen Grundgesetzes, die die Bundesrepublik doch tatsächlich zum Ausgleichen des Haushalts zwingt.

Eine Traktorenkolonne demonstrierender Bauern in Berlin, aufgenommen am 26. Januar 2024.

Die Schuldenbremse wurde 2009 in großer Eile gestrickt. Kurz zuvor waren viele westliche Staaten durch massenhafte, extrem unpopuläre Bankenrettungen (von denen einige als Griechenlandrettungen getarnt wurden) in massive Schulden geraten, und ein Rechenfehler, der medial damals im guten Glauben sehr breitgetreten wurde (und zu der Behauptung führte, dass ab einer gewissen Staatsschuldenquote das Abendland untergehe), versetzte die Bürger in Angst und Schrecken. Daher beschloss die Politik damals, von nun an nicht mehr so viel Geld auszugeben.

Man könnte die Schuldenbremse genauso gut als Aufforderung auslegen, die Steuern für die Reichen anzuheben oder gar die Privateigentumsfrage zu stellen. Doch das ist mit der Ampel oder der Union nicht zu machen.

Der spontane Massenprotest gegen die AfD diente bisher aus Sicht dieser Politiker also hervorragend als Feigenblatt vor dem Umstand, dass wir am Anfang einer neuen Spar-Orgie stehen, die wie die Sparpolitik Brünings 1930-1932 die Krisentendenzen nur verschärfen und die Rechten nur stärker machen wird.

Doch das ist keineswegs die Intention der Demonstrierenden! Der legitime Protest wird von den herrschenden Parteien instrumentalisiert! Wie mir Demonstranten aus diversen Orten versicherten, wurde die Ampel in Reden scharf kritisiert, junge Konservative (die traurigsten Figuren unserer Zeit) ausgepfiffen und vieles mehr. Den Menschen, die da draußen gegen den neuen Faschismus demonstrieren, ist durchaus bewusst, wer die Misere zu verantworten hat.

Allein, es kommt nicht an! So sehr man sich auch wünscht, es wäre die bisher schweigende Mehrheit auf die Straße gegangen: Etwas über eine Million Menschen sind nicht die Mehrheit in einem Land von über 80 Millionen.

Der gemeine Mitbürger ist bis jetzt zuhause geblieben und erfährt von den Protesten vor allem durch die Massenmedien – dieselben Massenmedien, die die Mär von der Staatsschuldenkatastrophe verbreitet und Bankenrettungen als Griechenlandrettungen verkauft haben.

Und diese Massenmedien wollen in den Demonstrierenden eben nichts weiter erkennen als Menschen, die hinter den “demokratischen Parteien” stehen, die die Lage zu verantworten haben.Von den 80 Millionen kommt sicherlich vielen das Kotzen bei so viel massenmedial wahrgenommener Liebe für die Parteien, die für die letzten 20 Jahre Verantwortung getragen haben.

Ich hoffe, die Bewegung, die den herrschenden Parteien gegenüber doch recht kritisch ist, ist sich zu schade für diesen von den Massenmedien vermittelten Missbrauch durch eben jene Parteien. Wenn dem so ist – wenn die Demonstranten wirklich etwas verändern und nicht nur ihr antifaschistisches Gewissen erleichtern wollen – dann ergibt sich daraus ein klarer historischer Auftrag:

Es muss den Demonstranten gelingen, sich massenmedial wirksam von der existierenden Parteienlandschaft abzugrenzen. Nur so wird daraus ein wahrer Volksaufstand gegen die herrschenden Verhältnisse, der international Vorbildcharakter entwickeln könnte.

Es heißt im Grundgesetz, alle Staatsgewalt gehe vom Volke aus. Kann das Volk sie auch wieder heimholen?

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