Offener Brief an die Richter des Internationalen Strafgerichtshofs

7. Oktober 2024

Sehr geehrte Richter:innen des Internationalen Strafgerichtshofs,

als wir im Januar erfuhren, dass Sie sich entschieden haben, sich mit dem Fall der Situation in Israel/Palästina zu befassen, waren wir ermutigt. Die Menschheit braucht einen Internationalen Strafgerichtshof, der Rechtsstaatlichkeit aufrechterhält und bereit ist, schwerwiegende Vorwürfe von Völkerrechtsverletzungen zu untersuchen.

Heute, am 7. Oktober 2024, genau ein Jahr nach dem Beginn der jüngsten und brutalsten Phase des 76-jährigen israelisch-palästinensischen Konflikts, fühlen wir uns verpflichtet, Sie direkt anzusprechen. Nicht nur wegen der zunehmenden Grausamkeit dessen, was westlich des Jordan geschieht, sondern auch wegen des gefährlichen Präzedenzfalls, der geschaffen würde, wenn ein Staat so weit außerhalb des internationalen Konsenses über akzeptables Verhalten in Konfliktzeiten agieren kann. Wenn solche Verstöße nicht von einem Gericht wie dem Ihren sanktioniert werden, werden Staaten in Zukunft Kriegsverbrechen mit größerer Straflosigkeit begehen.

Es ist mittlerweile unbestreitbar: Die israelische Regierung hat sich vorgenommen, systematisch jeden Aspekt des palästinensischen Lebens im Gazastreifen zu zerstören. Wir haben bereits Folgendes gesehen:

  • Die intensivsten Bombardierungen eines dicht besiedelten städtischen Gebiets in jüngerer Geschichte
  • Die vorsätzlichste Aushungerung einer Bevölkerung seit dem Zweiten Weltkrieg
  • Die systematische Zerstörung von Gesundheitseinrichtungen
  • Eine beispiellose Zahl von getöteten Journalist:innen und UN-Mitarbeiter:innen

Die israelische Regierung hat Schulen, Universitäten, Bibliotheken, Archive, Kulturzentren, Kulturerbestätten, Moscheen und Kirchen angegriffen. Professor:innen und Lehrer:innen wurden zusammen mit ihren Schüler:innen und oft ihren ganzen Familien getötet. Unter dem Deckmantel des Gaza-Konflikts vertreiben israelische Siedler:innen geschützt von Soldat:innen der IDF, Palästinenser:innen aus ihrer angestammten Heimat, in direktem Verstoß gegen alle Prinzipien des Völkerrechts.

Dies sind nicht nur Verstöße durch eine Regierung. Die internationale Gemeinschaft hat keinen Grund zu erwarten, dass ein Regierungswechsel den israelischen Staat wieder in den Rahmen des Völkerrechts zurückbringt. Am 19. Juli 2024 erklärte der Internationale Gerichtshof die Besetzung des Westjordanlands, des Gazastreifens und Ostjerusalems durch Israel für unrechtmäßig. Fünf Tage später stimmte die israelische Knesset mit 65 zu 9 Stimmen dafür, das Urteil des IGH zu ignorieren, und bezeichnete provokativ das Westjordanland, den Gazastreifen und Ostjerusalem als Teil des „Landes Israel“. Um ihre Verachtung für das Völkerrecht und die Institutionen, die die Menschheit nach dem Zweiten Weltkrieg zu dessen Unterstützung geschaffen hat, weiter zu beweisen, hat die israelische Regierung vergangenen Mittwoch UN-Generalsekretär Guterres die Einreise ins Land verboten.

Also lautet die Frage: Wann können wir Anklagen von Ihrem Gericht erwarten?

Heute ist der Jahrestag des Beginns des düstersten Kapitels einer Tragödie, für die unsere Generation gegenüber zukünftigen Generationen zur Rechenschaft gezogen werden wird. Heute braucht die Menschheit mehr denn je ein Gericht wie das Ihre, in dem unparteiische juristische Köpfe aus aller Welt einen Konsens über Standards des rechtlichen Verhaltens im Krieg und dessen Nachwirkungen erzielen können. Ihre Rolle ist entscheidend, und wir fordern Sie auf, sofort zu handeln.

Vielen Dank,
Brian Eno und Yanis Varoufakis

Schließ dich uns an, indem du diesen Brief über diesen Link unterstützt. Du kannst das Schreiben auch an den Internationalen Strafgerichtshof senden. Sie müssen so schnell wie möglich handeln. Die Adresse ist: Oude Waalsdorperweg 10, 2597 AK Den Haag, Niederlande.

Kontext: Warum wir diesen Brief am düsteren Jahrestag des 7. Oktober an die Richter des Internationalen Strafgerichtshofs geschrieben haben

Vor einem Jahr griff eine von der Hamas angeführte Miliz an und überwand den Zaun, der 2,3 Millionen Palästinenser:innen (meistens Geflüchtete der ursprünglichen ethnischen Säuberung von 1948, der Nakba) im Gazastreifen, dem größten Freiluftgefängnis der Welt, einsperrt. Als Reaktion auf die Ermordung von mehr als tausend israelischen Zivilist:innen und die Entführung von Dutzenden von ihnen an diesem Tag – Handlungen, die Kriegsverbrechen darstellen – revanchierte sich Israel mit einer einjährigen Militäroffensive, die einem gut geplanten, vollumfänglichen Völkermord gleichkommt.

Ein Jahr später sind mindestens 50.000 Palästinenser:innen getötet worden, und indirekt sind mehr als 200.000 an ihren Wunden und Krankheiten gestorben – ganz zu schweigen von den Tausenden von verstümmelten Kindern ohne überlebende Eltern.

Heute, am Jahrestag des 7. Oktober, ist kein Ende des Völkermords in Sicht. Israel ist im Griff einer genozidalen rechtsextremen Regierung, die keine Gelegenheit auslässt, ihre mörderische Kampagne auf das Westjordanland, Ostjerusalem, Südlibanon und darüber hinaus auszuweiten. Noch schlimmer ist, dass es klare Beweise dafür gibt, dass die wichtigste Oppositionspartei die allgemeine Richtung der Regierung unterstützt, was nicht nur den Nahen Osten, sondern auch die israelische Gesellschaft selbst ins Verderben führt.

Brian Eno und ich glauben, dass die tägliche Flut von Kriegsverbrechen nicht nur ein katastrophaler Weg für Palästinenser:innen und Israelis ist, sondern auch eine verhängnisvolle Entwicklung für das Selbstbild und die Seele der Menschheit. Nach dem letzten Weltkrieg kamen unter der Schirmherrschaft der UN die Nationen der Welt zusammen, um sich auf grundlegende Prinzipien des Völkerrechts zu einigen, darunter universelle Menschenrechte und angemessenes Verhalten im Krieg.

Deshalb appellieren wir heute, an diesem düsteren Jahrestag, an den Internationalen Strafgerichtshof, seine Pflicht zu tun. Um das Völkerrecht aufrechtzuerhalten, indem offensichtliche Kriegsverbrechen in Israel-Palästina strafrechtlich verfolgt werden, damit Völkermord nicht weltweit normalisiert wird.

Yanis Varoufakis

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