Wahlen in Portugal: bekämpft die Oligarchie oder es wird sich nichts ändern

Ein weiterer Wahlzyklus steht bevor. Diesmal gegen den Willen der Mehrheitsmeinung. Die Öffentlichkeit sieht keinen Sinn darin. Die Wahlen werden als Ergebnis zynischen politischen Kalküls betrachtet, das nicht den Wünschen der Nation entspricht.

Und nun werden diese Klagen von einem Medienrummel um politische Debatten zwischen Parteiführer:innen und Kandidat:innen in den Hintergrund gedrängt. Das Wiedererstarken der extremen Rechten war der notwendige Katalysator, um die politischen Parteien von ihren drängendsten Sorgen abzulenken. Sorgen über Prekarität, Gesundheit, Wohnen, die Wirtschaft und viele andere Dinge.

Auf diese Weise wird die Wahl als ein Wettstreit der Persönlichkeiten und persönlichen Motivationen inszeniert. Die Entscheidungsfindung hängt schließlich von emotionalen Affinitäten und vagen klubistischen Parteiloyalitäten ab. Und so treten Themen wie Herrschaftsmechanismen, Ausbeutung, wachsende Ungleichheit und der Verlust von Souveränität in den Hintergrund.

Es kann nicht genug betont werden, wie schädlich die Besessenheit der Medien mit der Personalisierung von Kampagnen ist. Sie reduziert diese Geschehnisse zu einer Flut von Kommentator:innen, endlosem Kommentieren und der Benutzung des Jargons der Kampfkünste und der Kriegsführung.

Sie verewigen damit die giftige „sebastianistische“ Kultur der „großen Männer“ und Politiker, als würden diese als Einzige den Schlüssel zu unserem gemeinsamen Wohlstand in der Hand halten. Wie Trump während seiner Präsidentschaftskampagne sagte: ‚Nur ich kann das System reparieren‘.

Dennoch gibt es ein Thema, das aus den Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Parteiführer:innen hervorsticht. Ein Thema, das von den Kandidat:innen der großen Parteien oft verkündet wird: das politische Primat des Pragmatismus.

Vorsicht und Pragmatismus sind wesentliche Instrumente der Politik. Das gilt umso mehr, je höher das Amt ist, das man bekleidet. Aber  die modernen sozialdemokratischen Parteien neigen dazu, sie zu Grundprinzipien zu erheben. Und wenn Mäßigung als Prinzip und nicht als Werkzeug verstanden wird, wird sie zum Hindernis für die gewünschten Ziele.

Man könnte die Vermutung anstellen, dass die schlechten Ergebnisse der Wohnungsbaupolitik der letzten Regierungen der Sozialistischen Partei in Portugal, denen es nämlich nicht gelungen ist, den schwindelerregenden Anstieg der Wohnungskosten zu stoppen, nicht unbedingt das Ergebnis eines zynischen, propagandistischen Kalküls sind.

Es wurden Versprechungen gemacht, ohne dass die Absicht bestand, diese auch einzuhalten. Nicht aus ideologischen oder anderen ruchlosen Motiven, sondern eher aus praktischen Erwägungen heraus. In Anbetracht der enormen Aufgabe, die auf die Gouverneur:innen zukommt, die versuchen, der hegemonialen Immobilienlobby entgegenzutreten.

Ob im In- oder Ausland, die Immobilienhydra und ihr spekulativer Ansturm lassen selbst die mutigsten Politiker:innen zurückschrecken. Wir sehen, wie Pragmatismus von Machthaber:innen missbraucht wurde, die ihn zu ihrem Grundsatz gemacht haben. Das Versäumnis, dieses Problem anzugehen, untergräbt die tapferen Bemühungen in anderen Bereichen. Man muss sich nur ansehen, wie der brutale Anstieg der Lebenshaltungskosten jeden Gewinn aus einer Erhöhung des Mindestlohns bei Weitem übersteigt.

Es ist notwendig, der Immobilienoligarchie entgegenzutreten, um die Früchte eines progressiven politischen Programms zu ernten. Da die Spekulationskrake alles um sich herum verseucht hat, muss der Pragmatismus weichen, wenn andere Maßnahmen wirksam sein sollen.

In dieser Kampagne ist häufig das Argument zu hören, dass ohne politische Stabilität die Chance einer ganzen Generation vertan wird. Und, dass die progressive Verwaltung der europäischen Fonds zur Bekämpfung der Covidpandemie behindert wird. Aber selbst im besten Fall dürfen wir nicht vergessen, dass wir unter der bekannten ethischen Ägide des „Sozialismus für die Reichen und des wilden Individualismus für alle anderen“ leben. Was können wir angesichts der Bilanz der „grünen Investitionen“ in Portugal wirklich erwarten?

Es ist lobenswert, dass Portugal einen Großteil seiner Energieressourcen durch erneuerbare Energien erzeugt. Aber zu welchem Preis? Indem hunderte Millionen an jährlichen Profiten verloren wurden, weil REN und EDP aus der öffentlichen Hand entfernt wurden. Und durch die Belastung der Portugies:innen mit den Mieten aus den ÖPPs an dieselben Oligarch:innen, die die Umsetzung der „europäischen Fonds“ überwacht haben.

Das Verfahren für die Zuweisung der Mittel des RRP, selbst der Teil, der „grüne Investitionen“ betrifft, wird weiterhin von der oligarchischen Logik beherrscht, die den Energiesektor weitgehend kontrolliert. So wie  hunderte  Millionen, die vor kurzem aufgrund von Gesetzen unbezahlt blieben, die von unserer Legislative beschlossen wurden, um der EDP einen großzügigen Steuerbonus von 110 Millionen zu gewähren. Welche Sicherheit haben wir, dass dieses großartige europäische Geschenk nicht langfristig mit einer viel höheren Rechnung enden wird, angesichts der berüchtigten Ergebnisse der Deals und PPP im Energie- und Straßensektor, um nur einige zu nennen?

Wenn politische Stabilität bedeutet, den derzeitigen Weg ohne grundlegende Änderungen  bei der Einnahme der Produktivitätsgewinne durch eine oligarchische Struktur fortzusetzen, stehen wir vor einem Paradoxon. Denn ein Weg, der in einer Sackgasse endet, kann nur zu Instabilität führen.

 

Die demokratische Quarantäne hat nicht erst gestern begonnen

Nach jeder Wahl geben die institutionellen Akteur:innen des Landes ihre ersten Erklärungen zur Wahlenthaltung ab. Manchmal sind sie optimistischer, was die Gesundheit des nationalen demokratischen Geistes angeht. Manchmal eher pessimistisch. Aber wir wissen, dass der Trend Jahr für Jahr nicht ermutigend ist. Es gibt immer noch große Teile der Bevölkerung, die dem Wahlprozess fern stehen. Unbeteiligt oder desinteressiert. Die Ärmsten, die Jüngsten, die Älteren und die Nachkommen von Einwander:innen. Es ist ein Paradox, auf das niemand eine Antwort zu finden scheint. Warum sind diejenigen, die am meisten von den Ungerechtigkeiten des Systems betroffen sind, diejenigen, die am wenigsten Hoffnung in die Entscheidungsmechanismen der Gesellschaft setzen? Ist das ein Feature oder ein Bug?

Vor diesem Hintergrund nehmen die wiederholten Äußerungen über die Gesundheit der Demokratie verhängnisvolle Konturen an. Sind es nicht gerade die Verfasser:innen dieser Äußerungen, die als politische Klasse den schleichenden Verfall der Demokratie zu verantworten haben?

Bei den nächsten Wahlen ist es keineswegs unerheblich, welche Kandidat:in oder welche Parteienkonstellation die Mehrheit haben wird. Die relative Stärke der verschiedenen Parteien kann sehr unterschiedliche Koalitionen erzwingen. Andererseits bedeutet die Möglichkeit, dass es keine Einigung auf eine Koalition gibt, dass es wieder Neuwahlen geben könnte. Wie der Elefant im Zimmer, den alle ignorieren wollen.

Das Gleiche gilt für ein anderes Gespenst, das nicht angegangen wird. Möglicherweise ist es das größte Hindernis für die Zukunftsperspektive des Landes. Nämlich der derzeitige restriktive Konsens der europäischen Elite. Das berüchtigte Sparen und das „regressive Dogma“, das in den kommenden Zeiten mit neuer Intensität wieder auftauchen dürfte.

Deshalb kann nur eine progressive paneuropäische Basisbewegung inmitten der Verwirrung dieses Wahllabyrinths eine gewisse Klarheit bewahren. Nur ein radikales Programm wie der Green New Deal for Europe kann wirklich als pragmatisch bezeichnet werden.

Das Foto zeigt den Moment, als der Staatshaushalt für 2022 im portugiesischen Parlament abgelehnt wurde. Quelle: Wikimedia Commons.

Miguel Gomes ist Mitglied des Kollektivs von Setúbal von DiEM25.

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