Die DiEM25-Aktivistin Gabrielle Fradin hat eine leidenschaftliche Rede über die Normalisierung rechtsextremer Rhetorik in scheinbar harmlosen Alltagssituationen und Gesprächen gehalten und verleiht darin ihrer Meinung darüber Ausdruck, wie dieser Entwicklung entgegengewirkt werden sollte.
Gabrielles Rede:
Liebe Genoss:innen, Freund:innen und Mitaktivist:innen. Danke, dass ihr mir die Möglichkeit gebt, mit euch einige meiner Überlegungen über die politischen Zeiten zu teilen, die wir gerade durchleben.
Lasst mich mit einer persönlichen Anekdote zur Normalisierung rechtsextremer Rhetorik beginnen. Sie handelt von einer bestimmten Person – nennen wir sie John.
John ist ein liebenswerter Zeitgenosse. Trotz seiner privilegierten gesellschaftlichen Position ist er sehr reflektiert und ist sich Rassismus, Sexismus und negativer Auswirkungen des Neoliberalismus durchaus bewusst.
So unterstützte er beispielsweise die landesweiten Proteste für bezahlbaren Wohnraum. Er ist also alles in allem das, was man einen „progressiven Linken“ nennen könnte. Letzten Monat habe ich mit ihm zu Abend gegessen und wir haben über Migration gesprochen – ich habe ihm natürlich gesagt, dass ich für offene Grenzen und Personenfreizügigkeit für alle bin, denn, seien wir ehrlich: Sch… auf ihre Grenzen.
Darauf erwiderte er, dass dies ein völlig utopischer Standpunkt sei und dass wir, wenn Westeuropa alle seine Grenzen öffnen würde, von Flüchtlingswellen aus dem globalen Süden überschwemmt würden.
Ich war sprachlos. Ich konnte es einfach nicht fassen. Wie konnte es sein, dass er solche rechte Propaganda wiederholte? Wie konnte er diese fremdenfeindliche und rassistische Lüge der extremen Rechten wiederholen, deren einziges Ziel es ist, den Menschen Angst zu machen? Die Tatsache, dass John sie wiederholt, ist beängstigend.
Faschistische Rhetorik unterwandert und durchdringt die Gesellschaft in einem gefährlichen Ausmaß. Wir müssen erkennen, dass eine solche Rhetorik nicht nur von Neo-Nazi-Randgruppen ausgeht, sondern, dass sie längst zu einer normalen und akzeptablen Haltung geworden ist. Das ist gefährlich und wir müssen uns aktiv gegen diesen Trend positionieren.
Unsere heutige Gesellschaft hat zugelassen, dass Rassismus als normaler Bestandteil unserer Institutionen eine hegemoniale Stellung einnimmt. Wenn ich so etwas sage, dann denke ich natürlich an die Toeslaggenaffaire. Zehntausende People of Colour wurden einzig und allein aufgrund dessen, wer sie waren, zu Unrecht verletzt. Und bis heute gibt es KEINE Strafverfolgung, KEINE Verantwortlichkeit, KEINE Wahrheit.
Und mehr noch: der eindeutig rassistische Minister, der zum Zeitpunkt des Skandals für den Belastingdienst zuständig war, ist jetzt Außenminister.
Zwar ist dies ein äußerst gefährlicher Präzedenzfall – aber seien wir ehrlich, die scheinbar beiläufige Verabschiedung rassistischer Gesetze hat im niederländischen Staat eine lange historische Tradition.
Und nein, Rassismus und Faschismus sind kein Ding der Vergangenheit, sondern Wirklichkeit, tief verankert im Wesen unserer heutigen Gesellschaft, und ihre giftigen Tentakel wachsen jeden Tag. Wir alle wissen, was als Nächstes passiert – der Gesellschaft wird die Angst vor dem Anderen eingeflößt, die dann wiederum für die eigenen politischen Zwecke ausgenutzt wird.
Den Wandel herbeiführen
Darauf müssen wir dadurch antworten, dass wir die Alternative aufzeigen und leben.
Somit fängt unser Widerstand bei uns zu Hause an. Unser Widerstand beginnt damit, dass wir unsere Türen, Herzen und Köpfe bedingungslos für alle diejenigen öffnen, die leiden. Ganz egal wer sie sind oder woher sie kommen. Dabei müssen wir uns um die Gegenseitigkeit dieser Hilfe bemühen. Wir müssen Interdependenzen schaffen und sie ihrem Konkurrenzmodell entgegenstellen. Um unsere Macht und unseren Einfluss zu vergrößern, müssen wir uns organisieren. Die Missstände, die wir sehen, die Straffreiheit, die wir erleben, sie alle spiegeln unseren Grad an Einfluss wieder. Wir müssen die Machtdynamik umkehren.
Um dies zu erreichen, müssen wir uns in derjenigen politischen Arena engagieren, die uns zur Verfügung steht – sei es bei Demonstrationen auf der Straße, in der Wahlkabine oder in den Gemeindezentren und bei politischen Versammlungen. Aber wir müssen auch unsere eigenen, auf radikal demokratischen und gerechten Institutionen beruhenden politischen Alternativen schaffen. Wir müssen diesen Wandel verkörpern, um auch anderen diese Alternativen aufzuzeigen, die wir in uns tragen. Denn Wandel ist möglich.
Und tatsächlich findet dieser Wandel bereits statt – von der Revolution in Rojava bis zu den Zapatistas in Chiapas ebnen Menschen bereits den Weg für etwas Neues. Sie drängen ihre Bevölkerung dazu, sich zu politisieren und an der Entscheidungsfindung zu beteiligen, entgegen der neoliberalen Entfremdung. Sie tragen dazu bei, eine lebendige und politisch kämpferische Zivilgesellschaft als die widerstandsfähigste Bastion gegen den aufkeimenden Faschismus aufzubauen und aufrechtzuerhalten.
Inspiriert von eben solchen Beispielen ist es genau das, was wir innerhalb unserer Bewegung DiEM25 zu erreichen versuchen, wo die Menschen einen umfassenden Überblick über die Arbeit der Bewegung und der Wahlparteien erhalten.
Was vereint all diese Beispiele miteinander? Menschen haben beschlossen, sich zusammenzuschließen. Ganz einfach. Trotz ihrer ideologischen Differenzen haben sie zusammengefunden.
Zusammenfassung
Als ich diese Worte niederschrieb, fühlte ich mich an ein französisches Volkslied über die Freiheit erinnert (Le Pieu – zu deutsch ‘Der Pfahl’ – von Marc Robine). Das Lied beruht auf einer Allegorie. Wir, die Menschen, sind alle mit einem Seil an diesen einen Pfahl gebunden, der uns daran hindert, frei zu sein. Weiter heißt es, dass, wenn ich allein an dem Seil ziehe, der Mast stehen bliebe und sich keinen Zentimeter bewege. Nur wenn du an meine Seite kommst und mit mir ziehst, können wir ihn zum Fallen bringen und uns befreien.
Wir müssen alle zusammenkommen und so stark wie möglich an diesem metaphorischen Seil ziehen, um uns als Einheitsfront von ihm loszulösen. Um uns zu befreien, müssen wir also zusammenarbeiten, um unsere Kraft und unseren Widerstand im Sinne der Befreiung aller zu bündeln. Unsere Unterschiede dürfen uns nicht davon abhalten, eine gemeinsame Front gegen Hass, Diskriminierung, Rassismus und Faschismus zu bilden. Ich danke euch.
Gabrielles Rede wurde von DiEM25s Policy-Koordinator Amir Kiyaei mitverfasst.
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