Die Landtagswahl am 09. Oktober ist für viele Einwohner:innen Niedersachsens sicherlich alles andere als eine mit Begeisterung empfundene staatsbürgerliche Pflicht. Die geschichtliche Erfahrung zeigt, dass sich eine schlecht laufende Wirtschaft und ein brüchiger sozialer Frieden fast immer auch in den Wahlstatistiken widerspiegeln – durch höhere Wahlenthaltungsraten und steigende Stimmenanteile für extremistische Kräfte. So kann es auch nicht verwundern, dass der niedersächsische Landesverband der sogenannten Alternative für Deutschland in jüngsten Meinungsumfragen erstmals zweistellige Werte erreicht, womit er sein Ergebnis von vor fünf Jahren nahezu verdoppeln würde.
Die bisher regierenden Parteien scheitern darin, mit wirksamen Botschaften und überzeugender Politik diesem Trend etwas entgegenzusetzen, und präsentieren wieder nur dieselben altbekannten Gesichter als ihre Spitzenkandidaten. Ob nun Amtsinhaber Stephan Weil (SPD), oder diesmal doch sein Wirtschaftsminister und erneuter Herausforderer Bernd Althusmann (CDU) die nächste Landesregierung anführen werden, scheint in vielerlei Hinsicht absolut irrelevant für die politische Ausrichtung des flächenmäßig zweit- und nach Einwohnerzahl viertgrößten Bundesland Deutschlands – zu ähnlich sind Politikstil und -praxis.
Damit es wieder mehr Unterscheidbarkeit, Überzeugung und Glaubwürdigkeit auf dem Marktplatz der parteipolitischen Angebote gibt, haben wir MERA25 gegründet, den Wahlflügel von DiEM25. Die anstehende Landtagswahl in Niedersachsen markiert für uns einen Wendepunkt: Es wird die vorerst letzte größere Wahl in Deutschland sein, zu der MERA25 nicht antritt. Trotzdem lassen wir es uns nicht nehmen, wichtige und berechtigte Forderungen an die zukünftige Landesregierung zu stellen, die einige der drängensten Anliegen der Bevölkerung Niedersachsens aufgreifen. U.a. in den folgenden Punkten müssen sich niedersächsische Politiker:innen bewegen, wenn sie verhindern möchten, dass der Protest an der Wahlurne die Falschen stärkt.
Fünf Forderungen von MERA25 für Niedersachsen
1) Starke Landesfinanzen für ein handlungsfähiges Bundesland
Als das am zweithöchsten verschuldete Bundesland Deutschlands ist Niedersachsen bereits seit Beginn des Doppelhaushaltsjahres 2022/2023 aufgrund von Tilgungs- und Zinszahlungen einem ressortübergreifend hohen Sparzwang unterworfen. Dies bedeutet Kürzungen der öffentlichen Ausgaben für Bildung, Wohnen, Gesundheit, Mobilität, Klimaschutz und erschwert dringend benötigte Investitionen. Der neue Landtag muss nach der Wahl schnellstmöglich fraktionsübergreifende Verhandlungen mit dem Ziel aufnehmen, die 2019 in die Landesverfassung integrierte Schuldenbremse wieder zu streichen oder, sofern das nicht gelingt, zumindest erneut auszusetzen. Flankierende landesrechtliche Regelungen müssen so abgeändert werden, dass sie maximalen fiskalischen Spielraum gewähren und die Pflicht zur Netto-Null-Neuverschuldung so weit wie möglich aufweichen.
Alle Ausgaben, egal ob investiv oder konsumtiv, sind darauf zu prüfen, ob sie anstatt vom Land Niedersachsen auch durch Anstalten des öffentlichen Rechts (mit Landesbürgschaften) bestritten und somit nicht dem Landeshaushalt zugerechnet werden können. Von zinsfreien/zinsgünstigen Krediten der NBank (Niedersachsens Förderbank) sowie weiterer öffentlicher Finanzinstitute ist vollumfänglich Gebrauch zu machen, insbesondere zum Zwecke der strukturellen Aufwertung ländlicher Gebiete und der Förderung gleichwertiger Lebensverhältnisse in der Stadt und auf dem Land. Zuletzt muss sich die Landesregierung im Bundesrat für ein kommunales Entschuldungspaket, die Wiedereinführung einer Vermögens- sowie einer Börsenumsatz- bzw. Finanztransaktionssteuer und die Abschaffung der Schuldenbremse auf Bundesebene einsetzen.
2) Mobilität nicht auf Kosten der Umwelt
Einfach, sicher, zuverlässig und günstig musste die Mobilität bisher immer sein. Doch im 21. Jahrhundert reicht das nicht mehr! In Zeiten der Klimakrise dürfen wir die Umwelt nicht noch weiter ausbeuten und belasten. Durch den Autobahnausbau A20 und A26 wird aber genau diese Ausbeutung weiter vorangetrieben. Autobahnausbau und das quer durch die Moore Niedersachsens? Das sich selbst gesteckte Ziel der CO2-Neutralität bis 2045 ist definitiv so nicht haltbar.
Statt Individualverkehr muss Niedersachsen auf einen starken und günstigen öffentlichen Verkehr setzen. Wir fordern deshalb Ausbau und Reaktivierung bestehender Bahnstrecken, um die Mobilität zukunftssicher zu gestalten und gleichzeitig die Natur und Umwelt so wenig wie möglich zu belasten. Um öffentlichen Verkehr für alle zugänglich zu machen, fordern wir die Weiterführung des 9€-Tickets oder eine vergleichbare Alternative. Zudem muss, besonders in urbanen Regionen, der Radverkehr gestärkt werden, ganz nach dem Vorbild der angrenzenden Niederlande.
3) Ein modernes, verfügbares und öffentliches Gesundheitswesen
Nach über zwei Jahren Pandemie geht das Coronavirus langsam in die endemische Phase über. Auch wenn Lockdowns der Vergangenheit angehören, ist die Lage in vielen Krankenhäusern und anderen medizinischen Einrichtungen immer noch sehr angespannt. Grund ist nicht nur das Virus, sondern mangelnde Investitionen in den Gesundheitssektor. Zu wenig Personal in Pflegeberufen, überarbeitete Belegschaften und Privatisierung sind das “New Normal”. Die aktuelle Regierung will zusätzlich bis zu 40 Kliniken in Niedersachsen schließen. Ist das die Entwicklung, die wir sehen wollen? Wir sagen nein! Was wir brauchen ist ein Stopp der Privatisierung aller medizinischen Einrichtungen, faire Entlohnung in Pflegeberufen und ein zukunftssicheres Investitions- und Finanzierungskonzept der öffentlichen Hand.
4) Konsequenter Naturschutz mittels fortschrittlicher Landnutzung
Die Natur- und Klimakrise ist eng mit der Landwirtschaft und unserer Art des kulinarischen und kosmetischen Konsums verknüpft. Umweltschutz und Agrarpolitik müssen zusammen gedacht und angewandt werden. Die Degradation der Ökosysteme, heute in Niedersachsen größtenteils Agrarökosysteme, ist weit vorangeschritten.
Das ist ein großes Problem, denn gesunde und naturnahe Ökosysteme speichern nicht nur CO2, sie sind auch für den Wasserhaushalt und unsere Ernährungssicherung von großer Bedeutung. Für den Natur- und Klimaschutz ist Niedersachsen u.a. besonders, da 95% aller deutschen Moore in Niedersachsen liegen. Aber auch für die Fleischindustrie ist Niedersachsen von besonderer Bedeutung: Es wird knapp ein Drittel der deutschen Schweineproduktion in Niedersachsen gemästet, was die Umwelt erheblich belastet.
Die Landschaft ist in Niedersachsen seit Generationen auf eine Entwässerung für die industrielle landwirtschaftliche Nutzung ausgelegt. Das bedeutet, Moore werden trocken gelegt, um u.a. für Viehfutter beackert werden zu können. Doch die industrielle Landwirtschaft kommt auch in Niedersachsen an ihre Grenzen. Ganz zu schweigen von den Ökosystemen und der Biodiversität. Um sowohl der Wasserknappheit als auch der Natur- und Klimakrise entgegenzuwirken, fordern wir, Flächen und Lebensräume in Niedersachsen umfangreich zu renaturieren.
Vor allem Niedersachsen hat mit seinen Mooren eine besondere Verantwortung im Naturschutz. Dennoch soll der Torfabbau in den sensiblen Ökosystemen bis 2032 weitergehen. Natürliche CO2-Speicher werden unwiderruflich zerstört und damit der Klimawandel und die Austrocknung weiter beschleunigt. Wir verlangen daher eine Renaturierung sensibler Ökosysteme Niedersachsens. Außerdem fordern wir den Torfabbau zu stoppen, einen konsequenten Abbau industrieller Massentierhaltung und eine Unterstützung von unabhängigen Landwirt:innen hin zu regenerativen Anbausystemen. Solche Anbausysteme nehmen die Gesundung unserer landwirtschaftlich genutzten Böden als die zentrale Mehrgewinnstrategie für Natur, Klima und Landwirtschaft in den Fokus.
Damit verstehen wir Naturschutz und Agrarpolitik als eng verschränkt und sich wechselseitig bedingend. Unsere sozial-ökologische Ernährungssystem- und Landnutzungspolitik stellt sich der Agrarindustrie sowie der Macht des Einzelhandels und den sich dahinter verbergenden Interessen der Finanzwirtschaft entgegen und strebt danach, symbiotisch lokale Gemeinschaften und Ökosysteme zu regenerieren.
5) Echte Energiewende anstatt schlechte Energiekrise
Niedersachsen hat in den letzten Jahren wichtige Schritte zu einer CO2-neutralen Energieerzeugung gemacht. Laut DIW leistet Niedersachsen die größten Anstrengungen im technologischen und wirtschaftlichen Wandel. Das Ergebnis? Der Windkraft-Ausbau ging 2022 stark zurück und der Ausbau von Solarenergie läuft auch nur schleppend voran.
Gleichzeitig ist eine Beendigung der Erdöl- und Erdgasförderung in Niedersachsen nicht abzusehen. Unternehmen wie EMPG (Exxon Mobile Production Deutschland GmbH) und Wintershall Dea sind im Bereich der Erdöl- und Erdgasförderung maßgeblich aktiv. Bei der Erdölförderung belegt Niedersachsen nach Schleswig-Holstein den zweiten Platz. Bei der Förderung von Erdgas liegt Niedersachen vorn. Rund 42,8 Milliarden von insgesamt 43 Milliarden Kubikmetern deutsches Erdgas befinden sich in niedersächsischen Lagerstätten. Ohne einen verbindlichen Ausstieg aus der Produktion fossiler Energien bleibt das Ziel der Klimaneutralität unerreichbar.
Stattdessen bedarf es eines massiven Ausbaus der erneuerbaren Energien sowie Investitionen in grünem Wasserstoff, welcher der Dekarbonisierung der energieintensiven Schwerindustrie dient. Dabei ist es von besonderer Bedeutung, dass eine erneuerbare Energieversorgung in öffentlicher Hand liegt und nicht dem Privatsektor überlassen wird. Ohne diese Maßnahmen wird eine sozial gerechte Energiewende nicht funktionieren.
Um Niedersachsen zum Vorbild im Ausbau der erneuerbaren Energien zu machen, erwarten wir von der nächsten Landesregierung, dass sie die bestehenden Förderprogramme, die sich als erfolgreich erwiesen haben, beibehält und gleichzeitig neue Programme schafft. Wirksame Förderungen dürfen nicht durch vermeintlich knappe Finanzmittel künstlich begrenzt werden. Die Infrastruktur unserer kollektiven Energieversorgung gehört ohne wenn und aber in öffentliche Hand. Dazu zählen auch unterirdische Gasspeicher wie der in Rehden, der nach Auslaufen der treuhänderischen Verwaltung durch die Bundesnetzagentur in Bundes- oder Landeseigentum überführt werden muss. Alle Kommunen, Haushalte oder Unternehmen, die sich dem Klimaschutz verschreiben, müssen von der Regierung unterstützt werden. Dabei darf es keine exklusiven Profiteure durch die Klimakrise und die Energiewende geben. Eine lebenswerte Welt muss uns allen gehören.
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