Niedergang von Facebook: Jetzt reagiert auch der Aktienmarkt

Der Aktienwert von Meta (ehemals Facebook) ist in dieser Woche an einem einzigen Tag um 26 % gefallen. Es sieht so aus, als würde die Börse endlich erkennen, was jede wirkliche Facebook-Nutzer:in bereits wusste: dass das Netzwerk immer unattraktiver wird. So viele Freund:innen haben aufgehört zu posten. Der Grund, warum sie überhaupt noch mit „Milliarden“ von Nutzer:innen werben können, ist folgender:

a) Sie kaufen immer wieder die Seiten auf, zu denen sich die Aktivitäten verlagert haben oder verlagern könnten (z.B. Instagram, WhatsApp, Oculus VR), und zählen diese Nutzer:innen dann zu den Facebook-Nutzer:innen. Dies wird aufgrund der Aufmerksamkeit der Kartellbehörden immer schwieriger werden.

b) Gefälschte/duplizierte Nutzer:innenprofile werden so gut wie nie entfernt, z.B. von den erwiesenermaßen Millionen gefälschter Profile für die Erstellung gefälschter Likes für Unternehmensseiten, oder die angeblichen Republikaner:innen, die den amerikanischen Wahlkampf beeinflusst haben.

c) Viele Webseiten haben ein „Facebook-Login“ eingeführt, d.h., zum Lesen Ihrer Tageszeitung geben Sie Ihren Facebook-Namen und Ihr -passwort ein, anstatt ein Passwort für die Zeitung zu wählen. Dann gelten Sie als aktive Facebook-Nutzer:in, obwohl Sie weder auf Facebook selbst noch auf einer Facebook gehörenden Website Zeit verbracht haben. Die entscheidende Auswirkung dabei ist, dass Facebook den Nutzer:innen, die nur den Facebook-Login verwenden, keine Werbung anzeigen kann. Diese Personen bleiben also außerhalb der Reichweite von Facebook, es sei denn, sie verwenden aktiv ein anderes Meta-Produkt wie Instagram.

Warum wenden sich die Menschen von Facebook und anderen von Zuckerberg kontrollierten sozialen Netzwerken ab? Bedenken hinsichtlich der Privatsphäre und Abscheu vor den gemeldeten Ausschreitungen sind sicherlich ein Grund. Aber es geht auch etwas mehr Grundsätzliches vor sich, etwas, das nach einer gewissen Zeit JEDES erfolgreiche soziale Netzwerk betrifft. Dazu ist es hilfreich, sich die historische Entwicklung anzuschauen.

Historische Entwicklung

Die ursprüngliche Idee von Mark Zuckerberg war eine Plattform zur Bewertung der Attraktivität von Studentinnen. Aus diesen unglücklichen Anfängen schuf er einen Ort, an dem Menschen die Verbindung zu ihren Klassenkamerad:innen und Freund:innen aufrechterhalten konnten. Und gelegentlich, sehr gelegentlich – Facebook ist nicht Twitter – fanden sie durch gegenseitige Verbindungen oder Facebook-Gruppen neue Freund:innen. Das entspricht in etwa dem 50-Personen-Kreis der „guten Freunde“ von Robin Dunbar. Dann schlossen sich auch Eltern, Onkel, Großeltern und Nachbarn dem Netzwerk an, so dass Facebook die Bedingung eines Treffpunkts für Dunbar’s 150-Personen-„Clan“-Kreis erfüllte.

Noch etwas später begannen die Chef:innen, es zur Überprüfung von Bewerber:innen zu nutzen, und alle Mitarbeiter:innen desselben Unternehmens wurden routinemäßig ermutigt, sich zur sozialen Kontrolle mit anderen zu befreunden (Dunbar’s 500-Personen-Bekanntenkreis). Diese allmähliche Ausweitung dessen, wer auf Facebook ist bzw. wer dein:e „Freund:in“ auf Facebook ist, führte auch zum Absterben von Facebook. Die Dinge, über die man sich mit anderen “Burschenschaftlern” austauscht, sind ganz anders als die, über die man sich in der Familie austauscht, und auch anders als das, was man mit einer Kolleg:in oder einer potenziellen zukünftigen Chef:in teilen möchte. (Selbst mit der viel zu späten Einführung der Möglichkeit, einzuschränken, wer welche Inhalte sehen kann, ist es zu unangenehm, auf der gleichen Website und im gleichen Feed sowohl Dinge von “Burschenschaftern” als auch das Keksrezept der Oma zu sehen.)

Dunbar hat gezeigt, dass von den unterschiedlich großen, uns umgebenden Freundes- und Bekanntenkreisen ein unterschiedlicher sozialer Nutzen erwartet wird. Das gilt auf Facebook wie überall sonst auch. Als Facebook nur für etwa 50 „gute Freunde“ gedacht war, teilten wir dort authentische Inhalte und waren dadurch verletzlich, denn dieser Kreis lebt von Intimität und gegenseitiger Hilfe. Als unser „Clan“ dazukam, wurde Facebook zu einem Ort, an dem wir Bestätigung und nur gelegentlich Unterstützung erhielten. In der jetzigen „Bekannten“-Phase wäre die natürliche Verwendung von Facebook der Austausch von begrenzt möglichen Informationen und Ähnlichem. Und einige Leute nutzen es auch dafür, aber es gibt bessere Seiten. Es bleibt auch eine Seite zum Angeben, obwohl die Bestätigung durch Bekannte nicht so wertvoll ist wie die Bestätigung durch unseren Clan.

Irgendwann beim Übergang von einer Seite für „Clans“ zu einer Seite für „Bekannte“ entdeckten wir, dass der Durchschnittsmensch an einem Tag nicht so viele Dinge tut/sagt, die einen „Like“ wert sind, und dass die Leute unendlich viele „Likes“ haben wollen, aber nur begrenzt bereit sind, selbst „Likes“ zu vergeben. Dies führte zum Aufkommen von Facebook-Quiz, Persönlichkeitstests und Spielen wie Farmville, die die schwächeren Facebook-„Freundschaften“ kommerzialisierten und ein gewisses Maß an Gegenseitigkeit bei der Unterstützung sicherstellten. Gleichzeitig sorgten sie aber auch dafür, dass uns diese Handlungen nicht mehr glücklich machen konnten, da sie nicht mehr authentisch waren. Es gibt nur begrenzt mögliche Spielergebnisse, die zu einem ”Like” führen, und nur so und so viele Gelegenheiten, einer Bekannten zu helfen, die meine Hilfe „dringend braucht“, um ihre virtuellen Pflanzen in irgendeinem Videospiel zu gießen.

Die Spielphase führte zu einem Exodus aus Facebook, weshalb Facebook die Möglichkeiten, mit Spielen in natürliche Freundschaften/Kooperationen einzudringen und diese zu kommerzialisieren, schließlich drastisch einschränkte. Der Schaden war jedoch angerichtet. Durch die Spiele und den Zustrom von immer weiteren Bekanntenkreisen gibt es auf Facebook kaum noch echte Freundschaften. Fast jeder, der noch auf Facebook postet, tut dies, um für seine Projekte oder sich selbst zu werben. Wer will schon einen Feed voller kommerzieller Angebote von Bekannten und Ex-Kolleg:innen lesen, gemischt mit beunruhigend zielgerichteter bezahlter Werbung und ein paar Mems?

Ironischerweise sind die einzigen Orte, die noch ein anständiges Facebook-Erlebnis bieten können (ganz anders als das ursprüngliche Facebook, aber im Einklang mit Dunbar’s Vorhersage), die Gruppen, die einem bestimmten Ort gewidmet sind, wo man mit Fremden interagiert, die aber Informationen über interessante lokale Möglichkeiten und etwas nachbarschaftliche Hilfe der nicht-virtuellen Art bieten. Instagram spiegelte Facebook wider, indem es sich zunächst zu einem Ort des Prahlens entwickelte und nun auf dem Weg zur endgültigen, auf kommerzielle Inhalte ausgerichteten Phase ist.

Nach der Selbstbestimmungstheorie sehnt sich der Mensch nach Autonomie, Kompetenz und Verbundenheit. Ursprünglich bot Facebook Zugehörigkeit in Form von Bekenntnissen, reichlicher gegenseitiger Bestätigung, Fotos vom Ausgehen und so weiter. In seiner Spielphase bot es Autonomie und Kompetenz zusammen mit einem gewissen Maß an Verbundenheit (insofern, als man sich darüber freuen kann, dass Elsa vom technischen Support einem beim Gießen der nicht vorhandenen virtuellen Pflanzen geholfen hat). Derzeit bietet es weder das eine noch das andere und hat daher das meiste von dem verloren, was die Menschen ursprünglich an Facebook interessiert hat.

Einführung in das Metaversum

Oculus VR, das Mark Zuckerberg gekauft hat und auf dem er sein Metaversum aufbauen will, befindet sich derzeit in der Spielphase (mit weniger sozialem Fokus als die entsprechende Phase bei Facebook) und bietet vor allem Autonomie und Kompetenz sowie ein wenig Verbundenheit. Es ist auch schon möglich, in dieser virtuellen Realität einen Film zu sehen oder durch schöne Landschaften zu spazieren, aber nur wenige Menschen machen davon Gebrauch. Strände machen keinen Spaß ohne die Meeresbrise, den Sand unter den Füßen und einen geliebten Menschen an unserer Seite. Und es wird noch zwei Jahrzehnte dauern, bis es ein Gerät geben wird, das wahrscheinlich viel Platz braucht, schwer, lästig und nur für 1 % der Bevölkerung erschwinglich ist, das eine gute Simulation des gesamten Erlebnisses ermöglichen kann. Es könnte sich auch herausstellen, dass es zu lästig ist, um kommerziell brauchbar zu sein.

Was wäre, wenn Zuckerberg wirklich die gute Stimmung in seinem Metaversum steigern wollte, indem er die Verbundenheit erhöht, um es wie das frühe Facebook zu machen? Meiner Meinung nach ist das unmöglich. Erstens ist das Dunbar-Problem nicht verschwunden, und zweitens werden Bilder von Kolleg:innen, die in einem virtuellen Raum ein Feierabendbier trinken, nie so beliebt sein wie Fotos von realen Personen, selbst wenn es (in 50 Jahren) möglich wäre, sich an virtuellem Bier zu berauschen und ohne Hemd auf einem virtuellen Tisch zu tanzen. Inhalte von ein und derselben Plattform (wie z.B. der eigene Spielstand bei Facebook-Spielen) eignen sich nicht besonders gut für Likes, zumindest nicht auf täglicher oder wöchentlicher Basis. Das heißt, dass der Großteil der Inhalte weiterhin von außerhalb des Metaversums kommen muss, wenn wir Likes dafür bekommen wollen. Das wiederum bedeutet, dass wir weiterhin einen Großteil unserer Zeit außerhalb des Metaversums verbringen werden (oder nur sehr lose eingestöpselt sind, wie bei Google Glass), um später am Tag zurückzukommen und Wertschätzung für das zu erhalten, was wir über diese Aktivitäten posten.

Außerdem gibt es eine Grenze dafür, wie sehr der Algorithmus dies verstärken kann. Die erste Idee – ein Androide, ein falscher Nutzer, der eine Menge Wertschätzung an alle verteilt – wird nicht funktionieren, denn der Gyges-Effekt hat uns gelehrt, dass Menschen hauptsächlich durch die Fähigkeit motiviert sind, andere Menschen zu erreichen und zu beeinflussen. Außerdem hat das Farmville-Experiment gezeigt, dass Menschen nur eine begrenzte Toleranz gegenüber künstlichen Beziehungen haben. Sobald die Mehrheit der Nutzer:innen versteht, dass Elsa sie nicht wirklich mag, sondern von der Plattform dazu gebracht wurde, ein „Gefällt mir“ zu äußern, oder dass Elsa nicht wirklich dringend Pflanzensamen von dir braucht, sondern die Plattform sie dazu gebracht hat, sie anzufordern, werden sich diese Interaktionen nicht mehr gut anfühlen. Schließlich gibt es einen gewissen Spielraum für einen Algorithmus, der die Inhalte besonders unsicherer Nutzer:innen besonders vielen Menschen zeigt, um ihnen einen größeren Anteil an Likes oder dem, was im Metaverse als Likes gilt, zu geben. Aber der Kuchen ist klein, und wird (wenn es wie bei Facebook abläuft) immer kleiner, je länger man auf der Plattform ist. Lügen darüber, wem was gefallen hat, sind auch ein schneller Weg, diese Plattform zu zerstören.

Aber Zuckerberg geht es nicht darum, eine Wohlfühlmaschine zu schaffen. Er will nur das Gerät kontrollieren, mit dem Erwachsene die meiste Zeit ihres Lebens verbringen, um die Werbeeinnahmen aus all diesen Stunden zu erhalten. Solange wir nicht in einer Star-Trek-Gesellschaft leben, bedeutet dies, dass das Gerät nicht in erster Linie zum Spielen oder zur Unterhaltung dienen kann, sondern zum Arbeiten. Und in der Tat hat Zuckerberg bereits verraten, dass er plant, Oculus VR zu einem Co-Working-Gerät zu machen, mit dem Sie Ihre Kolleg:innen neben sich sehen können, als ob Sie im selben Büro arbeiten würden. Im Moment ist es schwer vorstellbar, mit einer Oculus VR zu arbeiten. Sie ist zu schwer und sperrig und erlaubt es nicht, zu trinken oder sich im Haus zu bewegen, während man sie trägt. Brillen sind vielleicht die bessere Wahl, auch wenn sie natürlich weniger immersiv sind, und Google hat seit 2013 erfolglos versucht, sie populär zu machen. Wird Zuckerberg dort Erfolg haben, wo Google gescheitert ist? Bislang wurden alle seine Erfolge nach der Gründung von Facebook gekauft und nicht geschaffen.

Als letzte Option erwähnte er in seinem Metaversum-Vortrag die Hologramme. Hologramme wurden bereits eingesetzt, um Vorlesungen aus der Ferne zu halten. Aber solange sie der holografierten Person nicht das Gefühl geben, anwesend zu sein, sind auch ihre Einsatzmöglichkeiten begrenzt. Außerdem kacken Tiere nicht dahin, wo sie essen, und Menschen arbeiten nicht dort, wo sie spielen, oder andersherum. Sobald es Zuckerberg gelingt, Zoom durch Oculus VR zu ersetzen, werden die Leute aufhören, Oculus VR zum Spielen zu verwenden, und so das Bedürfnis befriedigen, die Arbeit abzuschalten und für die Kolleg:innen nicht erreichbar zu sein. Im besten Fall kann er unsere Arbeitszeiten ODER unsere privaten Zeiten kontrollieren, er kann unsere Interaktionen mit Freund:innen ODER mit Kolleg:innen kontrollieren, aber höchstwahrscheinlich nicht beides zur gleichen Zeit.

Das bedeutet nicht, dass unsere Nutzung der Verbindungstechnologien gleich bleiben wird. Die Anzahl der Stunden, die jeder Mensch online verbringt, hat sich zwischen 2008 und 2018 verdoppelt und steigt weiter dramatisch an. Die Grenze zwischen der Online- und der Offline-Welt wird weiter erodieren, höchstwahrscheinlich mit schrecklichen Folgen für unsere Gesellschaften und Demokratien. Dies ist die Technik-Freak-Idee vom „Metaversum“ im Sinne eines Zeitpunkts anstatt einer bestimmten Zuckerberg-eigenen Software. Aber das bleibt für einen anderen Tag.

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