Wahlen in Frankreich und Großbritannien: Europa wacht auf

In den spontan ausgerufenen Neuwahlen für das französische Parlament hat das linke Bündnis Neue Volksfront einen Sensationssieg errungen und ist stärkste Kraft vor Macrons Ensemble. Allerdings versprechen sowohl die Regierungsbildung als auch jegliche künftige Regierungsarbeit gegen die Interessen des liberalen Establishments schwierig zu werden. Trotz allem ist das Ergebnis ein Meilenstein für die Demokratie und ein Hoffnungsschimmer für Europa. In Großbritannien ist die Erdrutschniederlage der konservativen Tories gegen die sozialdemokratische Labour-Partei zwar alles andere als ein linker Aufbruch, aber auch hier gibt es Positives zu vermerken.

Europa bewegt sich. In Frankreich haben die Menschen mit außergewöhnlich hoher Wahlbeteiligung der extremen Rechten von Marine Le Pens Rassemblement National (RN) eine Absage erteilt. Die Wähler:innen haben die Möglichkeit genutzt, die ihnen durch das kurzfristig vor der Wahl neu formierte Linksbündnis Neue Volksfront (Nouveau Front Populaire, NFP) und den taktischen Rückzug linker und zentristischer Kandidat:innen in umkämpften Wahlkreisen geboten wurde. Es war ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie eine Brandmauer gegen die extreme Rechte funktionieren kann. Nach diesem Glanzstück demokratischer Mobilisierung geht es jetzt ans Eingemachte. Es wird sich zeigen, ob Emmanuel Macron tatsächlich bereit ist, dem linken Bündnis die Regierungsbildung zuzugestehen und ob die Volksfront ihre politischen und personellen Differenzen aushalten kann, ohne sich von der neoliberalen Mitte aus Politik und Medien kooptieren zu lassen. Wie auch immer die Regierung aussehen wird, es wird kompliziert, und die Stärke des RN ist natürlich keineswegs gebrochen.

Das Wahlprogramm der NFP ist als Kompromiss zwischen der linken La France Insoumise, der sozialdemokratischen Parti Socialiste, der kommunistischen Partei und den grünen Les Écologistes vielversprechend. Es verspricht eine umgehende Erhöhung des Mindestlohns, die Aufhebung von Macrons umstrittener Rentenreform, die Wiedereinführung von Steuern auf große Vermögen und eine grüne Reindustrialisierung. Weitere Sofortmaßnahmen schließen eine Preisbremse für lebensnotwendige Güter und Investitionen in den sozialen Wohnungsbau ein. Darüber hinaus lehnt es die Defizitregeln der EU ab. Somit verpflichtet sich die Neue Volksfront dem klassisch linken Schwerpunkt auf soziale Themen – und hatte damit Erfolg.

Die außenpolitische Ausrichtung stellt in Bezug auf Israel-Palästina einen radikalen Bruch mit der jetzigen Politik dar. Sie fordert einen sofortigen Waffenstillstand, die Freilassung aller israelischen Geiseln und der palästinensischen politischen Gefangenen, ein Waffenembargo sowie die Aussetzung des EU-Israel-Assoziierungsabkommens. Der Staat Palästina soll schnellstmöglich anerkannt werden. Das ist besonders bemerkenswert, da die pro-palästinensische Haltung von La France Insoumise das Bündnis im Oktober 2023 gespalten hatte.

Des Weiteren haben die Parteien zugesagt, mit sozialen Bewegungen und Gewerkschaften zusammenzuarbeiten. Sowohl Mitglieder der einflussreichen Gewerkschaft CGT als auch Greenpeace Frankreich unterstützen das Programm.

Ob das Bündnis durch die schwierigen Mehrheitsverhältnisse und die mediale Feindseligkeit regieren und die historische linke Uneinigkeit überbrücken kann, bleibt abzuwarten. Aber allein von so einem gemeinsamen Programm sind wir in Deutschland momentan Lichtjahre entfernt. Insofern ist die konzertierte Aktion der französischen Linken äußerst inspirierend.

Die Wahlen in Großbritannien drei Tage vorher waren weniger inspirierend, aber nichtsdestotrotz gibt es auch hier hoffnungsvolle Signale. Zuerst sollte festgehalten werden, dass der neue Premierminister der Labour-Partei, Keir Starmer – alles andere als eine linke Gallionsfigur – am ersten Tag seiner Regierung ankündigte, das geplante Abschiebungsprogramm von Asylbewerber:innen nach Ruanda rückgängig zu machen. Dieser Wahnsinn scheint somit zumindest gestoppt. Ansonsten gibt es aus linker Sicht und für die Menschen in Großbritannien aber nicht viel von der neuen Regierung zu erwarten.

Vielmehr als ein Sieg für Labour war die Wahl eine Schmach für die konservativen Tories, die ihre größte Niederlage in der Geschichte erlitten und knapp 250 (!) Sitze verloren, einschließlich die von 12 Kabinettsmitgliedern, der ehemaligen Premierministerin Liz Truss und aller Sitze in Wales. Die rechte Reform-UK-Partei von Nigel Farage hat fünf Sitze und mit ca. 14 Prozent Stimmenanteil einen beunruhigenden Wahlerfolg zu verbuchen. Labour als Wahlsieger konnte nur knapp 34 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen; der geringste Stimmenanteil einer Regierungspartei in der langen Wahlgeschichte Großbritanniens. Da das Unterhaus in Großbritannien per Direktmandat gewählt wird („first past the post“), hat Labour dort trotzdem die absolute Mehrheit.

Labour hat fünf Sitze an unabhängige Kandidaten verloren, die sich Labours Unterstützung für den Völkermord in Palästina entgegenstellten. Viele linke unabhängige Kandidat:innen haben sehr gute Ergebnisse erzielt, allen voran Jeremy Corbyn, der ehemalige Vorsitzende von Labour, der 2020 wegen verleumderischen Antisemitismusvorwürfen insbesondere auf Bestreben von Keir Starmer von der Partei ausgeschlossen wurde. Corbyn ist nun mit fast 50 Prozent der Stimmen in seinem Wahlkreis Islington im Norden Londons wieder ins Parlament eingezogen. Auch Andrew Feinstein, früher Kabinettsmitglied der ersten Regierung Nelson Mandelas in Südafrika, hat als Unabhängiger einen Achtungserfolg im Wahlkreis von Keir Starmer erzielt. Er erreichte aus dem Stand 19 Prozent, während Starmer ungefähr die gleiche Anzahl an Prozentpunkten verlor, aber trotzdem vorne blieb. Sowohl Feinstein als auch Corbyn sprechen sich in aller Deutlichkeit gegen den Völkermord in Gaza und das Apartheidsystem in Israel-Palästina aus.

DiEM25 und MERA25 haben über einen globalen Mitgliederentscheid ihre Unterstützung für die linken unabhängigen Kandidat:innen in Großbrittanien ausgedrückt. Ihre Erfolge sind zukunftsweisend. Gratulation auch an die ebenfalls von uns unterstützte Nouveau Front Populaire für den großartigen Erfolg in Frankreich!

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